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Politik: Agrarwende auf Bewährung

DIE GRÜNE WOCHE

Von Dagmar Dehmer

Die Verbraucher haben gegen die Agrarwende gestimmt. An der Ladenkasse bei Aldi und bei Lidl. Der Einzelhandel klagt über Umsatzeinbrüche, die Discounter freuen sich. Aber nicht nur sie. Auch die Biobranche wächst. Nach dem Boomjahr 2001 hat sich der Ökomarkt behauptet, trotz des Nitrofenskandals, des ersten Lebensmittelskandals der Ökohändler. Ohne das Spritzmittel in Ökoeiern hätte die Branche deutlicher zulegen können als um 0,5 Prozent. Renate Künast ist an beidem schuld.

Die Verbraucherschutzministerin ist zwar von ihrem Ziel, einem Marktanteil von 20 Prozent für Ökoprodukte, noch weit entfernt. Derzeit sind es rund zwei Prozent. Doch hat ihre Förderpolitik für den Ökolandbau zum Erfolg der Branche beigetragen. Auf der anderen Seite hat ihr erfolgreiches Krisenmanagement nach dem ersten Rinderwahn dazu geführt, dass sich die Verbraucher wieder sicher fühlen. Ende des vergangenen Jahres hat die Ministerin sogar einen „Lebensmittelskandal“ publik gemacht, der noch niemandem sichtbar geschadet hat: Sie warnte vor dem krebserregenden Acrylamid in gebratenen Speisen.

Trotzdem bleibt es beim Trend zum Billigmarkt, und der hat Folgen. Wenn Milch für 40 Cent pro Liter verkauft wird, ist das wie ein nagelneues Auto für 500 Euro im Supermarkt. Die Billigpreise für Lebensmittel decken die Kosten der Herstellung bei weitem nicht. Sie sind nur möglich, weil die Verbraucher für andere Produkte bereitwillig mehr bezahlen, als die Waren vielleicht wert sind.

Für Künasts Agrarwende sind die Discounter eine echte Gefahr. Denn sie ist auf die Unterstützung der Verbraucher angewiesen. Aber die Konsumenten sind nicht so einfach gestrickt, wie es im Supermarkt aussieht. Sie wollen nicht nur billig, sie wollen auch gut essen, und die meisten wollen keine Gentechnik auf dem Teller. Auch aus solchen Abneigungen wächst Verbrauchermacht. Das hat die Lebensmittelbranche immer wieder schmerzlich feststellen müssen. Ist ein Produkt in Verruf geraten, wird es einfach nicht mehr gekauft. Die verlorenen Kunden sind kaum zurückzugewinnen.

Der Ministerin wird also nichts anderes übrig bleiben, als diese widersprüchlichen Verbraucher weiter zu umwerben. Die Bewährungsprobe für ihre Agrarwende findet in diesem Jahr statt. Im vergangenen Jahr hat sie einen Großteil ihrer Reformen politisch durchgesetzt. Und die Hoffnung einiger Bauernfunktionäre, die Ministerin nach der Bundestagswahl doch noch loszuwerden, hat sich nun auch zerschlagen. Ob die Agrarwende wirklich funktioniert, zeigt sich also erst in den kommenden Monaten.

Beim Ökolandbau ist der Erfolg der Reform bisher am deutlichsten. Die ökologischen Landbauverbände verzeichnen regen Zulauf. Außerdem tragen mehr als 12 000 Produkte das Biosiegel, das die Ministerin vor einem guten Jahr eingeführt hat. Auch in der konventionellen Landwirtschaft beschleunigt sich der Wandel zur umweltverträglicheren Produktion. Die Bundeszuschüsse für die Landwirtschaft werden nun eben nicht mehr in erster Linie für Straßenbau in Feld und Flur ausgegeben. Stattdessen werden regionale Vermarktungswege für Lebensmittel unterstützt und Agrarumweltprogramme gefördert, die dazu beitragen sollen, dass die Bauern weniger Spritzmittel einsetzen. Unterstützung bekommt die Ministerin aus Brüssel. Auch die Europäische Union muss ihre Politik stärker an den Interessen der Verbraucher ausrichten. Gelingt es Renate Künast, die Agrarwende in diesem Jahr sichtbar zu machen, kann sie mehr Verbraucher dafür gewinnen. Vielleicht sogar auf Dauer.

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