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AKP-Verbotsverfahren: Türkischer Machtkampf eskaliert

Kurz vor der Entscheidung im Verbotsverfahren gegen die türkische Regierungspartei AKP spitzt sich der Streit weiter zu. Namhafte Regierungsgegner wurden festgenommen, die Opposition fährt schweres Geschütz auf: Die Polizeiaktion erinnere an das Vorgehen der Nazis.

Die politischen Lager der Türkei fahren vor einer Entscheidung im Verbotsverfahren gegen die islamisch-konservative Regierungspartei AKP schweres Geschütz auf. Die Partei von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan muss sich am Donnerstag vor dem Verfassungsgericht in Ankara gegen den Vorwurf verteidigen, sie wolle ein islamisches Regime einführen. Dass mit Beginn der mündlichen Verhandlung am Dienstag 21 teils prominente Widersacher der AKP als mutmaßliche Mitglieder der nationalistischen Untergrundgruppe Ergenekon festgenommen wurden, hat zusätzlich Öl ins Feuer gegossen.

Unter den Festgenommenen sind ranghöchste Offiziere im Ruhestand und einige einflussreiche Journalisten. "Das ist kein Justizverfahren. Das ist der persönliche Kampf von Ministerpräsident Erdogan", sagt Oppositionsführer Deniz Baykal, Vorsitzender der Republikanischen Volkspartei (CHP). Er sieht in der Türkei böse Kräfte nach dem Beispiel deutscher Nazis oder russischer Stalinisten am Werk.

Schlagabtausch lässt schlimmes erwarten

Das Ergenekon ist eine Sage, die vom Ursprung der Turkvölker erzählt: Nach dem Zerfall eines alttürkischen Reiches sollen die Verbliebenen für einige Generationen Zuflucht in einem von hohen Bergen abgeriegelten Tal gesucht haben. Das Volk habe Kräfte gesammelt und sich vermehrt. Ein grauer Wolf habe das Volk schließlich zurück in die Steppe geführt, wo es sich an den Feinden gerächt und zu alter Größe zurückgefunden habe. Unter Nationalisten ist die Legende beliebt.

Seit dem vergangenen Sommer wurden bei Razzien gegen die Gruppe, die in der Türkei an Anschlägen beteiligt gewesen sein und einen Putsch gegen die AKP geplant haben soll, mehr als 100 Verdächtige festgenommen. Die neuen Festnahmen seien offensichtlich gezielt vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung gegen die AKP erfolgt, meinen einige türkische Zeitungskommentatoren. Der Schlagabtausch lasse für den möglichen Fall eines Verbotes der AKP Schlimmes erwarten.

Dagegen teilte die türkische Armee am Mittwoch mit, sie habe sich bei der Suche nach den Offizieren verhalten, wie es das Gesetz vorsieht. Durchsuchungen in Einrichtungen der Armee erforderten die Anwesenheit eines Staatsanwaltes, würden aber von Angehörigen des Militärs durchgeführt, teilte der Generalstab mit.

AKP-Verbot weiter unklar

Überhaupt ist bisher unklar, ob es überhaupt zu einem Verbot der AKP kommt. Nachdem das Verfassungsgericht im Kopftuchstreit bereits gegen die AKP entschieden hat, führt der Generalstaatsanwalt dies als einen Beweis für eine verfassungswidrige Grundhaltung der Partei von Erdogan an. Andere Stimmen meinen, die Verfassungsrichter könnten es bei einem Warnschuss belassen.

Am Donnerstag trägt die AKP vor den Richtern in Ankara ihre 200 Seiten umfassende Verteidigungsschrift vor. "Ich glaube, dass die Richter auch eine Möglichkeit finden können, die AKP nicht zu verbieten", sagt ein europäischer Diplomat. Erst wenn die AKP verboten sei und es Schritte hin zu einem autoritären Regime gebe, müsse die Lage in dem EU-Beitrittsland neu bewertet werden.

Carsten Hoffmann[dpa]

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