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Politik: Akten vom Herrn K.

Der Bundespräsident besucht die Stasiunterlagenbehörde – und stärkt Marianne Birthler den Rücken

Von Matthias Schlegel

Berlin - Irgendwo zwischen diesen 5,4 Millionen Karteikarten in den 27 klaviergroßen Schränken wird unter dem Buchstaben K auch ein Eintrag mit dem Namen „Köhler, Horst“ zu finden sein. Mitte der 80er Jahre ist der heutige Bundespräsident von der Stasi bespitzelt worden. Mit seinem damaligen Vorgesetzten, Bundesfinanzminister Gerhard Stoltenberg, war Köhler zu Gesprächen in die DDR gereist. Die Stasi registrierte, wann Köhler im Hotel aufstand, wann er frühstückte und dass er seine Nichte besuchte. „Das DDR-System hatte daran offenbar Interesse – warum, weiß ich nicht“, sagt Köhler heute gelassen.

Der Bundespräsident ist am Montag zu Besuch in den Archivräumen der Stasiunterlagenbehörde in Berlin-Lichtenberg – und freilich war der Anlass nicht sein eigener Fall. Die Vergangenheitsaufarbeitung ist insgesamt in schweres Fahrwasser geraten: Da kommt die von Marianne Birthler geführte Behörde wegen der Beschäftigung von mehr als 50 ehemaligen hauptamtlichen Stasi-Mitarbeitern ins Gerede. Da gibt es immer wieder neuen Streit über den künftigen Umgang mit den 180 Aktenkilometern des DDR-Ministeriums für Staatssicherheit. Da sorgt ein novelliertes Stasiunterlagengesetz mit deutlich eingeschränkten Überprüfungsmöglichkeiten auf frühere Stasi-Mitarbeit für Widerspruch. Und da erregt schließlich ein Gesetzentwurf für eine SED-Opferrente die Gemüter, weil sie nur sozial Bedürftigen zustehen soll. In solchen Zeiten hat ein Besuch des Bundespräsidenten eine besondere, eine symbolische Bedeutung.

Köhler, wohl auch beeindruckt von dem, was er in den modernisierten Räumen der Zentralkartei und im Aktenarchiv gesehen hat, stärkt denen den Rücken, die dieses Erbe des DDR-Geheimdienstes bewahren und aufarbeiten. Er wolle zum Ausdruck bringen, dass „ich diese Behörde für wichtig halte und dass hier gute Arbeit geleistet wird“, spricht er in den Wald der Mikrofonstangen. Die Aufarbeitung der SED-Diktatur sei „noch nicht beendet“. Mit der Hinterlassenschaft der Stasi verfüge man über wichtiges Material, „um Schlussfolgerungen zu ziehen, was für die Stärkung der Demokratie wichtig ist“, fügt der Bundespräsident hinzu. Die Auseinandersetzung damit sei vor allem für die junge Generation unverzichtbar.

Aber es ist wohl auch im Sinne von Behördenchefin Birthler, dass Köhler die zwei Seiten der Aktenwahrheit anspricht: Die Stasiunterlagen böten die Chance klarzumachen, dass die Menschen in der DDR nicht alle Spitzel waren. „Das ist Unsinn.“ Vielmehr seien die meisten Opfer gewesen. „Sie litten. Das darf nicht untergehen.“ Doch dem Streifzug in die Realpolitik weicht er aus: Was er von der geplanten SED-Opferrente halte, wird er gefragt. Er begrüße die Debatte darüber, dass auf diesem Feld etwas verbessert werden solle. Doch ob die geplante Opferrente ausreichend sei, „das möchte ich nicht kommentieren“, sagt der Bundespräsident. Birthler spricht von der Bitterkeit der Opfer, die feststellen müssten, dass ihre einstigen Peiniger viel besser gestellt seien als sie selbst. „Aber das ist nicht nur mit Geld gutzumachen“, sagt sie.

Zuvor hat die Behördenchefin dem Staatsoberhaupt Zahlen präsentiert, die das ungebrochene Interesse der Menschen an der Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte und der Verknüpfung mit ihrer eigenen Biografie belegen: Nach einem Rückgang der Anträge auf persönliche Akteneinsicht über Jahre hinweg habe sich deren Zahl in den vergangenen Jahren wieder erhöht. Mit 97 000 Anträgen sei 2006 ein Höchststand der vergangenen fünf Jahre registriert worden. Das seien 20 Prozent mehr als im Jahr davor gewesen. Insgesamt hätten in den vergangenen anderthalb Jahrzehnten 1,5 Millionen Menschen eine solche „Entscheidung gegen das Schweigen“ getroffen.

Nach dem rund anderthalbstündigen Aufenthalt des Bundespräsidenten in der früheren Kommandozentrale von Stasi-Chef Erich Mielke in der Lichtenberger Ruschestraße zieht Behördenchefin Birthler das Fazit: „Mit seinem Besuch an diesem historischen Ort hat der Bundespräsident ein Signal gegen jeden Schlussstrich gesetzt.“

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