zum Hauptinhalt

Politik: Aktion "Gesicht zeigen!": Nach der Empörung - Was die Debatte um rechte Gewalt bisher gebracht hat

Seit dem Anschlag auf russische Juden in Düsseldorf interessiert sich die deutsche Öffentlichkeit für rechte Gewalt. Das ist gut so - und gleichzeitig zeigt es, wie schwankend, wie irrational die Wahrnehmung rechter Gewalt hier zu Lande ist.

Seit dem Anschlag auf russische Juden in Düsseldorf interessiert sich die deutsche Öffentlichkeit für rechte Gewalt. Das ist gut so - und gleichzeitig zeigt es, wie schwankend, wie irrational die Wahrnehmung rechter Gewalt hier zu Lande ist. "Eine Bombe auf Juden in Deutschland" - der historische Assoziationsraum reichte, um Alarm auszulösen, obwohl bis heute unklar ist, ob es einen rechten Hintergrund gab. Die Öffentlichkeit ist nicht immer so empfindsam. So hatte man sich lange daran gewöhnt, dass es vor allem im Osten no-go-areas für alle gibt, die nicht ausreichend deutsch aussehen. Die rassistischen Ideen von Nazis bestimmen noch immer vielerorts, wer sich im öffentlichen Raum gefahrlos bewegen darf.

Was hat sich nun im Sommer getan? War die öffentliche Empörung nach Dessau und Düsseldorf nur ein Strohfeuer, eine Art Selbstberuhigung, ein Moral-Intermezzo, ehe man wieder darangeht, den Skandal für den Alltag zu halten? Oder war es mehr?

Es gibt Anzeichen, dass in Teilen der wirtschaftlichen und politischen Eliten etwas in Gang gekommen ist. Der brandenburgische Ministerpräsident Manfred Stolpe war früher stets geneigt, abzuwiegeln und Rechtsextremismus klein zu reden. Kürzlich hat Stolpe bekannt, dass er die rechte Gewalt früher unterschätzt hat. Ob dieser Sinneswandel Ausdruck eines Lernprozesses ist, oder ob Stolpe bloß registiert hat, woher der Wind gerade weht, ist nicht so wichtig. Entscheidend ist, dass jene, die rechte Gewalt eigentlich für gar nicht so schlimm halten, nicht mehr auf den Segen von oben rechnen können.

Zudem kann die autonome Antifa seit kurzem einen neuen Mitkämpfer gegen "die Glatzen" begrüßen: die deutsche Industrie. Der BDI hat neulich moniert, dass zu wenig "von der Bereicherung der Gesellschaft durch Menschen anderer Kulturen" die Rede sei. Das ist ziemlich verquast ausgedrückt, meint aber ungefähr das Richtige: Wer das Wort Ausländer stets im Zusammenhang mit -problem und -kriminalität gebraucht, darf sich über Nazis nicht wundern.

Es gibt noch eine Nachricht. Der Verweis auf das "Ausland" - jene fremde Macht, die uns zwingt, etwas gegen rechte Gewalt zu tun - ist etwas seltener geworden. Zum Glück. Denn die Frage "Was wird das Ausland dazu sagen?" zeigt, wie unreif diese Gesellschaft ist. Unreif, weil sie das kollektive Über-Ich nach außen projizieren muss. Unreif, weil sie nicht versteht, dass wir den Antirassismus brauchen.

Die Wahrnehmung rechter Gewalt ist noch immer ein Wechselspiel von Verdrängung und Hinschauen. Presseerklärungen, BDI-Kongresse über Rechtsextremismus, harte, schnelle Urteile gegen rechte Täter und Parlamentsdebatten sind schön und gut, aber nicht genug. Das Wichtigste ist, dass es zukünftig gibt, was bisher Mangelware war: kontinuierliches Interesse.

Stefan Reinecke

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false