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AKW: Der Schein kann trügen

Forscher haben das Krebsrisiko in der Nähe von Atommeilern untersucht. Was unterscheidet ihr Ergebnis von bisherigen Studien?

Es ist nicht die erste Studie in Deutschland, die untersucht, ob es in der Nähe von Kernkraftwerken ein besonders großes Risiko gibt, an Krebs zu erkranken. Seit Anfang der 90er Jahre sind dazu mehr als zehn wissenschaftliche Berichte erschienen. Unmittelbarer Anlass war stets die auffällige Häufung von Leukämiefällen in der Elbmarsch, in der Nähe des Atomkraftwerks Krümmel. Doch ein so deutlicher Satz stand bisher noch in keiner der Untersuchungen: „Unsere Studie hat bestätigt, dass sich in Deutschland ein Zusammenhang beobachten lässt zwischen der Nähe zu einem Kernkraftwerk und dem Risiko eines Kindes, vor seinem fünften Geburtstag an Krebs zu erkranken“, heißt es in der Zusammenfassung der sogenannten KiKK-Studie (Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Nähe von Kernkraftwerken). Die Untersuchung wurde von Forschern der Universität Mainz unter der Leitung der Epidemiologin Maria Blettner im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz durchgeführt (siehe Interview).

Die Wissenschaftler kommen zu dem Schluss, dass das Krebsrisiko für Kleinkinder umso größer ist, je näher sie an Atomkraftwerken wohnen. Dabei geht es vor allem um Fälle von Blutkrebs (Leukämie), die bei Kindern im Alter bis zu fünf Jahren aufgetreten sind, die im Umkreis von fünf Kilometern an Kraftwerken wohnen. Trotzdem sei das Risiko einer Erkrankung nach wie vor sehr gering, betonte Thomas Jung, Abteilungsleiter beim BfS, gestern in Berlin bei der Vorstellung der Studie. Im Bundesdurchschnitt erkrankten jährlich vier von hunderttausend Kinder an Leukämie. „Im fünf Kilometer-Umkreis der Kernkraftwerke treten 0,8 zusätzliche Fälle pro Jahr auf“, sagte Jung. Andere Risiken für das Wohl der Kinder wie die Gefährdung durch den Verkehr oder das Rauchen, seien wesentlich gewichtiger einzustufen. Auch frühere Studien hätten bereits gezeigt, dass nahe an Kernkraftwerken mehr Kinder an Leukämie erkranken als im Bundesdurchschnitt, sagte BfS-Präsident Wolfram König.

Bei der jetzt vorgelegten Untersuchung handelt es sich um eine Fall-Kontroll-Studie, bei der die Lebensumstände von an Krebs erkrankten und von nicht erkrankten Kindern in derselben Region erforscht wurde. Erstmals konnte man exakt festhalten, wie weit entfernt vom Reaktor die Kinder wohnten. So war es möglich, gesunde und kranke Kinder zu vergleichen, die sich im Wesentlichen nur durch die Entfernung des Wohnorts vom Reaktor unterschieden.

Die Studie erfasste 1592 krebskranke Kinder des Zeitraums 1980 bis 2003, die an 16 Standorten von Atomkraftwerken wohnten. „Im 5-km-Umkreis sind 77 Krebsfälle aufgetreten“, sagte König. Das seien 29 Fälle mehr als im statistischen Durchschnitt zu erwarten gewesen wären. Das sind durchschnittlich 1,2 zusätzliche Fälle pro Jahr. Bei Leukämie gab es mit 37 Fällen 20 Erkrankungen mehr als erwartbar waren. Trotz dieser kleinen Zahl von Fällen sei das Ergebnis wissenschaftlich „belastbar“, sagte König.

Dieses Gütesiegel gelte auch, wenn man den Standort Krümmel, in dem sich im untersuchten Zeitraum allein acht Leukämiefälle ereigneten, herausnehme. Auch dann sei für die übrigen Standorte eine Erhöhung des Risikos belegbar, die mit der Entfernung vom Atomkraftwerk zusammenhänge.

„Es ist methodisch beste Studie, die es weltweit zu dieser Frage gibt“, sagte König. So sieht das auch die 12-köpfige Expertengruppe, die die vergangenen zwei Tage die Studienergebnisse beraten hat. Sie forderte allerdings, in der Auswertung auch die Zone im Umkreis von 50 Kilometern um die Atomkraftwerke zu erfassen. Dann gäbe es im Zeitraum 1980 bis 2003 mindestens 121 bis 275 zusätzliche Neuerkrankungen, heißt es der Erklärung des Gremiums.

Die Frage, was denn die zusätzlichen Krebsfälle hervorrufe, konnte der BfS-Präsident nicht beantworten. Die Studie sei nicht auf Ursachensuche angelegt. An der Spekulation, radioaktive Strahlung könnte die Erkrankungen hervorgerufen haben, wollte sich König nicht beteiligen. „Wir können das weder belegen noch ausschließen“, so zitierte er die Stellungnahme der Expertengruppe. Mit dieser Aussage steht er im Widerspruch zu Studienleiterin Blettner, die Strahlung als Ursache ausgeschlossen hatte. Die zusätzliche radioaktive Belastung sei in der Nähe der Kernkraftwerke mindestens um den Faktor 1000 geringer als die natürliche Radioaktivität, erklären die Mainzer Forscher.

Das bestätigte auch BfS-Experte Jung. „Die deutschen Atomkraftwerke halten die Grenzwerte der internationalen Strahlenschutzkommission ein." Allerdings wisse man zu wenig über die biologische Wirkung von Strahlung mit niedriger Energie. BfS-Präsident König will die Ergebnisse der Studie zum Anlass nehmen, jetzt nach den Gründen für die Zunahme der Kinderkrebserkrankungen zu suchen.

Paul Janositz

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