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Al Qaida: Der Terroraktionist

Sawahiri, der Vizechef von Al Qaida, schmäht und hetzt unermüdlich – sein übles Werk treibt er schon seit Jahrzehnten.

Von Frank Jansen

Berlin - Er sieht genervt aus, wie ein Lehrer, der mittelmäßigen Schülern ein physikalisches Phänomen erklärt, das sie doch nicht begreifen. Aiman al Sawahiri, zweiter Mann von Al Qaida und einer der 9/11-Anstifter, wirkt im Internet auf dem Standbild zur Audiobotschaft vom 14. Dezember frustriert. Aber auch verbissen genug, niemals aufzugeben. Neben ihm steht an der Wand, wie ein Ausrufezeichen, eine Kalaschnikow.

Der 58-jährige Ägypter schimpft auf die Regierung seines Heimatlandes, die Schmugglertunnel vom Sinai in den Gazastreifen zerstöre „und palästinensische Gotteskrieger foltern lässt“. Wie so oft begnügt sich Sawahiri nicht mit der Verdammen nur eines Gegners. Auch die Könige von Saudi-Arabien und Jordanien und Palästinenserpräsident Mahmud Abbas werden geschmäht. Und Sawahiri beschwört in den 25 Minuten apokalyptische Visionen.

Bei dem sich zuspitzenden Konflikt mit dem pakistanischen Militär sowie der US-Armee in Afghanistan „geht es nicht um Nationen oder um Kämpfe zwischen Stämmen, dies hier ist die Schlacht des Islam gegen den Unglauben“, schnarrt der Ägypter. Die dramatische Sprache steht vielleicht nicht nur für Pathos, sie könnte auch ein Indiz für die zunehmende Bedrängnis sein, in der sich Al Qaida, die Taliban und verbündete Terrorgruppen in ihren Rückzugsräumen an der pakistanisch-afghanischen Grenze befinden. Die militanten Islamisten seien nun „sportlich unterwegs“, sagt ein Sicherheitsexperte. Dass Sawahiri von den Raketen einer US-Drohne oder den Kugeln pakistanischer Soldaten erwischt wird, prophezeit jedoch niemand. Zu oft wurde spekuliert und gehofft, er sei erwischt worden. Im Jahr 2004 soll Sawahiri der pakistanischen Armee nur knapp durch einen Tunnel entkommen sein. Jedenfalls lebt und hetzt er noch immer.

Osama bin Laden und sein Stellvertreter gelten als ungreifbar. Auch acht Jahre nach der Invasion der Amerikaner in Afghanistan sind sie nicht zum Schweigen gebracht. Doch vor allem Sawahiri hat sich mit seiner Propaganda, grenzenlos ausstrahlend und moralisch entgrenzt, ein bizarres Profil erarbeitet: Der einstige Kinderarzt ist das am meisten authentische Gesicht des globalen islamistischen Terrors. Da übertrifft er auch bin Laden, und das nicht nur, weil der manchmal entrückt scheint wie ein Guru. Sawahiri stößt pro Jahr fünf- bis sechsmal so viele Botschaften aus wie bin Laden, Sawahiri ist länger in der Terrorszene und er hat mehr Schläge eingesteckt als der saudische Millionär, der reiche Onkel des Dschihad.

Sawahiri war möglicherweise schon am tödlichen Attentat auf Ägyptens Präsident Anwar al Sadat 1981 beteiligt, jedenfalls saß er drei Jahre in Haft und wurde gefoltert. Er radikalisierte sich weiter und ging 1985 nach Afghanistan, wo er den sechs Jahre jüngeren, wenig erfahrenen bin Laden traf und agitierte. Es war der Beginn einer furchtbaren Freundschaft. Gemeinsam rechtfertigten sie im Oktober 2001 die Anschläge des 11. September. Zwei Monate später adelte Sawahiri in einem Buch die Selbstmordflieger als „Ritter unter dem Banner des Propheten“. Zitat: „Man kann einem Amerikaner oder einem Juden stets auf der Straße nachschleichen und ihn mit einem Revolverschuss oder Messerstich, mit einem selbst gebastelten Sprengsatz oder mit einem Hieb mit einer Eisenstange töten. Ihr Eigentum mit einem Molotowcocktail in Brand setzen, geht ganz leicht. Mit den verfügbaren Mitteln können kleine Gruppen unter den Amerikanern und Juden Angst und Schrecken verbreiten.“

So verkörpert und definiert Sawahiri bis heute die Marke Al Qaida. Der aktionistische Hassprediger hat das zu Ende gehende Jahrzehnt auf grausige Weise mitgeprägt – als eine Periode des Entsetzens über kaum vorstellbare Anschläge. Und als Dekade der Angst. Wann, wo, wie morden islamistische Fanatiker demnächst? Wie keine andere Führungsfigur des Terrornetzwerks verbindet Sawahiri in seinen Botschaften ideologische Vorgaben mit operativen Strategien. Auch wenn er angesichts der permanenten Flucht vor den Amerikanern und ihren Verbündeten kaum noch in der Lage zu sein scheint, konkret Anschläge zu planen, betreibt er doch eine psychologische Kriegführung, meist über das Medium Internet, die Schrecken verbreitet und gleichzeitig die Dschihadisten mental an Al Qaida bindet.

Er reklamiert verheerende Anschläge für Al Qaida, selbst wenn die Täter weitgehend autonom gehandelt haben, wie bei den Attacken im Juli 2005 in London. „Blair hat euch Zerstörung in der Innenstadt von London gebracht, und er wird mehr davon bringen, so Gott will“, drohte Sawahiri im August 2005 in einem Video, das der arabische Fernsehsender Al Dschasira ausstrahlte. Die Botschaft ist ein klassisches Beispiel für Sawahiris Agitation: Der damalige britische Premier Tony Blair wird für die Anschläge verantwortlich gemacht. Eine perfide Taktik: Die Kritik vieler Briten an der Teilnahme ihrer Armee am Irakkrieg wird angereichert mit Angst vor angeblich berechtigter Rache heiliger Krieger. Das Kalkül: So viel Hysterie produzieren, dass die Briten ihre Soldaten abziehen. Ähnlich versucht Al Qaida, Deutschland zur Aufgabe des Engagements in Afghanistan zu zwingen.

Fast schon vergessen scheint, dass Sawahiri bereits im Jahr nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die Bundesrepublik ins Visier nahm. Er nutzte den Schrecken über den Terrorangriff vom April 2002 auf der tunesischen Ferieninsel Djerba, um Deutschland zu drohen. Ein Selbstmordattentäter hatte sich in einem Transporter, der mit Flüssiggas beladen war, in die Luft gesprengt. Durch den Anschlag starben 21 Touristen, darunter 14 Deutsche. „Sollte aber die Dosis nicht ausreichend gewesen sein, so sind wir bereit – natürlich mit Hilfe Allahs – sie zu erhöhen“, verkündete Sawahiri im Oktober 2002. Der Fall Djerba zeigt allerdings auch, dass islamistischer Psychoterror die deutsche Politik nicht zum Kurswechsel zwingen konnte.

Einmal ist Sawahiri im Terrornetz an Grenzen gestoßen. Als er 2005 versuchte, den blindwütig brutalen Al-Qaida-Chef im Irak, Abu Mussab as Sarkawi, von seinem Feldzug gegen die Schiiten abzubringen. In der Sorge, Sarkawis Raserei könnte vielen Muslimen nicht mehr zu vermitteln sein. Sarkawi hörte nicht auf Sawahiri. Weitgehend isoliert starb Sarkawi im Juni 2006 bei einem gezielten US-Luftangriff. Sawahiri wird in der pakistanischen Grenzregion Nordwasiristan weiter von Paschtunen geschützt. Offenbar will sich niemand die von den Amerikanern ausgelobten 25 Millionen Dollar Kopfgeld verdienen. Sawahiri fühlt sich sicher. Vor einem Jahr hat er den neuen US-Präsidenten Barack Obama als „Hausneger“ verspottet.

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