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Osama bin Laden führte das Terrornetzwerk auch nach 9/11.

© AFP

Al Qaida: Die geheimen Dokumente des Osama bin Laden

Mehr als hundert Dokumente Osama Bin Ladens wurden veröffentlicht. Dabei wird klar: Die USA haben die Rolle des Al-Qaida-Gründers nach den Terroranschlägen vom 11. September unterschätzt.

US-Drohnen hätten ihn erspähen können. Also blieb er im Haus. Post und Manifeste gab er immer Kurieren, eine E-Mail hätte ihn verraten können. In Briefen an Freunde und Familie, die er am Computer verfasste, schildert Terrorchef Osama bin Laden das Leben in einem eingezäunten Gebäudekomplex im pakistanischen Abbottabad. Dort hatte er sich jahrelang versteckt. „Die Sicherheitssituation erlaubt es uns nicht, zum Arzt zu gehen“, schreibt der damalige Anführer von Al Qaida. Wer hierher komme, solle vorher zum Zahnarzt gehen.

Ein Kurier war es, der die US-Geheimdienste dann auf seine Spur brachte. Am 2. Mai 2011 erschossen US-Spezialkräfte bin Laden in seinem Versteck in Abbottabad. Sie nahmen sämtliche Unterlagen und Computer mit. Vier Jahre später hat die US-Regierung nun 103 Dokumente aus dem Fundus an die Öffentlichkeit gegeben. Es sind Transkripte, die einen Einblick darin geben, was bin Laden nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 bewegt hat. Insbesondere aber zeigen sie eines: dass der Gründer von Al Qaida noch vom Versteck aus das Terror-Netzwerk gesteuert hat.

Hinweis auf Wolfgang Schäuble

Die CIA war überzeugt davon, dass damals längst bin Ladens Stellvertreter Ayman al Zawahiri die Führung übernommen hatte. „Es hat mich überrascht hat, dass unser Verständnis von bin Ladens Rolle falsch war“, schreibt der frühere CIA-Vize Mike Morell in einem vor wenigen Tagen erschienenem Buch. Bin Laden bestimmte die Besetzung von Positionen, entschied, wofür Geld verwendet wurde, war in Anschlagsplanungen eingebunden und nahm Einfluss auf die wachsenden Terrorstrukturen im Jemen und in Syrien.

Wir fordern einen Ruf nach Gerechtigkeit“, heißt es in einem Schreiben aus dem Jahr 2010 – ein Aufruf an die Sunniten in Syrien, sich gegen die Alewiten zu erheben. Heute liest er sich wie eine Vorlage für den Terror des „Islamischen Staats“ in Syrien und im Irak. Dies gilt umso mehr, wenn man das Schreiben im Zusammenhang mit einem anderen Plan liest, in dem bin Laden den „Weg zum Kalifat“ beschreibt. Ein weiteres Dokument zeigt, dass er selbst in den Konflikt um die richtige Linie im Irak und Syrien eingeschaltet wurde.

Bin Laden beschäftigte sich auch mit Deutschland und dem Gedanken, „die deutsche Automobilindustrie zu boykottieren“. Ziel sei es dabei „sie aus Afghanistan zu vertreiben“. Notiert hat bin Laden zudem, dass der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble europäische Zeitungen aufgefordert habe, die umstrittenen dänischen Mohammed-Karikaturen nachzudrucken. Schäuble hatte damals jedoch betont, seine Äußerungen seien nicht als Aufforderung gemeint. „Dies zu erwähnen wird uns dazu dienen, Furcht bei den Medienpersönlichkeiten zu verbreiten“, schrieb Osama bin Laden. Auch das klingt wie eine frühe Vorlage – für die Anschläge auf die französische Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“.

Bin Laden ließ aber keinen Zweifel daran, wer der Hauptfeind ist. „Ich beginne meinen Brief mit der Betonung, dass zwingend klar sein muss, dass unser Hauptziel der Krieg mit Amerika ist“, schreibt er. Das weicht nicht ab von einem Schreiben aus dem November 2002, in dem es heißt: „Der Feind ist die Allianz der Kreuzritter und Zionisten, die ausgezogen sind, die Welt zu beherrschen.“ Von seinem Versteck aus reicht bin Laden diese Botschaft auch an Terrorgruppen in Algerien, Somalia oder sogar Uganda weiter.

Selbst für die Organisation von neuen Mitgliedern und für den Attentäternachschub ist der Chefterrorist offenbar (mit-)zuständig. Zumindest findet sich unter den jetzt freigegebenen Dateien ein „Aufnahmeantrag“. Terroristenanwärter müssen hier angeben, wieviel des heiligen Koran sie auswendig kennen, ob sie die Scharia studiert haben und ob sie schon in Afghanistan waren. Die Organisation interessiert sich für etwaige Verwandte oder Freunde, die im Dschihad kämpfen. Eine Frage lauet: „Arbeitet jemand aus Deiner Familie bei der Regierung und falls dem so ist, wäre sie oder er bereit, mit uns zusammenzuarbeiten oder uns zu helfen?“ Am Ende kommt die Frage: „Wen sollen wir kontaktieren, wenn du ein Märtyrer wirst?“ So lächerlich dies klingen mag: Angesichts des Organisationsgrades, den der IS in Syrien und im Irak zeigt, hat Osama bin Laden auch nach 9/11 viel Vorbereitungsarbeit für den Terrors geleistet.

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