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Politik: Alle blicken nach Karlsruhe

Das Verfassungsgericht urteilt Mittwoch über das Luftsicherheitsgesetz – Berlin debattiert, was Soldaten dürfen

Von Robert Birnbaum

Berlin - Das Urteil ist ziemlich absehbar, die Feinheiten sind es nicht. Auf die Feinheiten wird es aber ankommen, wenn das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch über das Luftsicherheitsgesetz entscheidet und es nach allgemeiner Erwartung verwirft. Je nachdem, wie der Erste Senat unter Leitung des Gerichtspräsidenten Hans-Jürgen Papier seinen Spruch begründet, liefert er den Stoff für Krach in der großen Koalition in Berlin – oder nur für parteiübergreifend lange Gesichter.

Der Streit, um den es geht, wirkt auf den ersten Blick eher akademisch. Als die rot-grüne Bundesregierung auf Betreiben des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD) ein Gesetz formulierte, das Piloten der Bundeswehr das Recht gibt, unter bestimmten Umständen ein von Terroristen entführtes Passagierflugzeug abzuschießen, stieß das neue Recht auf Zustimmung auch bei der damaligen Opposition CDU und CSU. Alle hatten die Bilder des World Trade Center im Kopf, alle erinnerten sich an den Fall des offenbar verwirrten Hobbypiloten, der 2003 mit einem Leichtflieger um Frankfurter Hochhäuser kreiste. Dieser Fall war auch Auslöser für Strucks Initiative. Der Minister hatte selbst erlebt, auf welch schwankendem rechtlichen Boden er bei der Frage stand, ob er seinen Abfangjägern im Zweifel den Befehl zum Abschuss hätte geben können.

Wie problematisch auch die neue Regelung ist, ging der Regierung erst später auf. Als Innenminister Otto Schily (SPD) in der mündlichen Verhandlung die Position des Gesetzgebers verteidigen sollte, hinterließ er ein ratloses Gericht. Denn Schily befand, das Gesetz regele einen Fall, der praktisch nie eintreten werde. Die seltsame Volte hing mit der Begründung zusammen, mit der unter anderem die früheren FDP-Politiker Burkhard Hirsch und Rudolf Baum geklagt hatten. Der Staat, argumentierten sie, dürfe nicht per Gesetz erlauben, dass das Leben unschuldiger Passagiere gegen das Leben anderer Unschuldiger aufgerechnet wird – und das schon gar nicht in einer derart ungewissen Situation wie einem Kidnapping. Folgen die Richter einfach nur dieser Auffassung, ist die Koalition relativ fein raus: Ein derart grundsätzliches Nein würde jede weitere Debatte über Grundgesetzänderungen überflüssig machen.

Anders, wenn das Gericht auch – oder vor allem – moniert, dass das Gesetz gegen die Verfassung verstößt, weil es den Einsatz der Bundeswehr unzulässig ins Innere ausweitet. Dann wäre eine Verfassungsänderung die logische Folge. Das aber ist ein heikles Feld. Denn da kommt Wolfgang Schäuble ins Spiel. Der CDU-Bundesinnenminister fordert seit langem, dass die Bundeswehr stärker als bisher auch Instrument für die innere Sicherheit werden müsse – nicht nur, aber zum Beispiel auch bei Großereignissen wie der Fußball-Weltmeisterschaft. In den Koalitionsverhandlungen ist das Thema vertagt worden, bis das Karlsruher Urteil vorliegt. Was danach kommt, ist aus Unionssicht klar: „Wenn wir schon das Grundgesetz ändern, dann nicht nur für diesen einen Spezialfall“, sagt ein führender Unionspolitiker. Das sehe prinzipiell Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) genauso, auch wenn sich Jung in letzter Zeit sehr zurückhaltend äußert: Der Hesse will nicht, dass seine im Ausland reichlich strapazierte Truppe zur Hilfspolizei wird.

Die SPD freilich sieht das alles noch ganz anders. Das Grundgesetz so ändern, dass die Bundeswehr zu Luft und auch zur See gegen Terroristen schützen darf – kein Problem. „Aber wenn Schäuble meint, er müsste an der Stelle weiter gehen, dann haben wir einen Konflikt in der Koalition“, sagt der SPD-Wehrexperte Rainer Arnold.

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