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Politik: Alle für die Gemeinschaft

Grüne und Verbände wollen, dass jeder in die Kasse zahlt – strittig ist, ob Beiträge vom Einkommen abhängen sollen

DER STREIT UM DIE GESUNDHEITSREFORM

Von C. Brönstrup, C. Eubel

und R. Woratschka

Im Herbst wollen die großen Volksparteien die große Entscheidung fällen: Wie soll die gesetzliche Krankenversicherung umgebaut werden? Zu einer Bürgerversicherung, in die alle nach ihrem Einkommen einzahlen – oder zu einem System der Kopfpauschalen, wie es in der Schweiz existiert? Die Grünen haben sich festgelegt: Außenminister Joschka Fischer unterstützt die Forderung seiner Partei, eine Bürgerversicherung einzuführen. „Die Koppelung der sozialen Sicherung an die Bruttolöhne ist auf Dauer nicht mehr haltbar“, sagte Fischer in einem Interview mit der „Financial Times Deutschland“.

CSU-Vize Horst Seehofer indessen muss sich parteiintern wegen seiner Präferenz für eine Bürgerversicherung noch als „Sozialist“ bespötteln lassen. Sozialdemokaten und Union haben das Thema auf die Parteitage im Herbst vertagt – „unnötigerweise“, wie der SPD-Linke Horst Schmidbauer findet. Für ihn ist eine Bürgerversicherung „logische Fortsetzung dessen, was wir solidarische Versicherung nennen“. Die einkommensunabhängige Kopfpauschale hingegen wäre „ein Bruch, der aus unserem System herausführt“. Daher gebe es in der SPD auch „keine ernsthafte Stimme“ für das Pauschalensystem. Allerdings dürfe man den Bürgern nicht vorgaukeln, dass sich die Umstellung im Handumdrehen bewerkstelligen lasse. Zunächst müsse man die Beitragsbemessungsgrenze erhöhen. Erst in einem zweiten Schritt könne man dann an die wesentlich kompliziertere Einbeziehung von Beamten und Selbstständigen gehen.

Auch Juso-Chef Niels Annen, der für den Parteitag einen Initiativantrag zur Bürgerversicherung angekündigt hat, sieht in der SPD breite Zustimmung. Die stellvertretende SPD–Fraktionsvorsitzende Gudrun Schaich- Walch hält vor derartigen Entscheidungen allerdings eine breite öffentliche Diskussion für nötig. Die Debatte will sie parteiübergreifend führen – wie die Kompromissverhandlungen. „Das ist nichts, was wir mit knappen Mehrheiten entscheiden können“, sagte Schaich-Walch dem Tagesspiegel. Sie selbst habe sich noch nicht festgelegt, welches Modell sie bevorzuge.

Bei den Betroffenen stößt die Politik auf wenig Gegenliebe. „Wir brauchen Wahlfreiheit“, sagt Hans Stein, Bundesgeschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer. Er halte nichts davon, auch Selbstständige in die gesetzliche Versicherung zu zwingen. Gleichwohl fordert er eine Versicherungspflicht für alle: Unternehmer, Beamte, Freiberufler und Arbeitnehmer sollten verpflichtet werden, eine Krankenversicherung abzuschließen – aber selbst entscheiden, ob gesetzlich oder privat. Der Deutsche Beamtenbund nennt eine Bürgerversicherung unnötig und die Pläne „völlig unseriös“.

Die Privatversicherer drohen mit erbittertem Widerstand. „Dagegen werden wir uns mit allen Mitteln zur Wehr setzen“, sagt Christian Weber, Geschäftsführer des Verbandes der privaten Krankenversicherungen (PKV). „Das schließt eine Klage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein.“ Ein solches System berühre den Markt und die Interessen der privaten Krankenversicherungen „existenziell und sei unter jedem Aspekt schädlich“. Erfahrungen in anderen Ländern zeigten, dass eine Bürgerversicherung Wettbewerb und Wahlfreiheit beschränke und zu schlechterer Versorgung führe. Zudem sei ein solches System keine Antwort auf die demografische Entwicklung.

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