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Politik: Alle Kinder sind gleich - fast alle

Es kommt nicht eben häufig vor, dass sich Abgeordnete fraktionsübergreifend machtlos fühlen. Vor allem nicht, wenn sie eine Parlamentsmehrheit stellen.

Es kommt nicht eben häufig vor, dass sich Abgeordnete fraktionsübergreifend machtlos fühlen. Vor allem nicht, wenn sie eine Parlamentsmehrheit stellen. "Es ist nervend bis zum Geht-Nicht-Mehr", sagt Christel Riemann-Hanewinckel (SPD), Vorsitzende des Familienausschusses. Dreimal schon habe das Parlament die Regierung zum Handeln aufgefordert und noch immer sei nichts geschehen. Sie erwarte, sagt Ekin Deligöz, die kinder- und sozialpolitische Sprecherin der Grünen, dass Innenminister Schily den Parlamentsbeschluss endlich vollziehe. Es sei "unmöglich", sagt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) vom Menschenrechtsausschuss, "wie schwierig Selbstverständlichkeiten in Politik umzusetzen sind".

Die Selbstverständlichkeit steht in der UN-Kinderrechtskonvention. Das Kindeswohl, so lässt sie sich zusammenfassen, genießt Vorrang vor staatlichen Entscheidungen. Bis auf die USA und Somalia haben sie alle UN-Mitglieder ratifiziert, auch die Deutschen - allerdings mit Vorbehalt. Kinderrechte gut und schön, befand die Regierung Kohl, aber Asyl- und Ausländerrecht geht vor. Sprich: Flüchtlingskinder, allein reisend oder ohne deutschen Pass, werden anders behandelt als ihre deutschen Altersgenossen.

Was die damalige Opposition aufs Schärfste kritisierte, hat sie als Regierung nicht zurückgenommen. Die Menschenrechts-Organisation Pro Asyl listet auf, was auch Rot-Grün akzeptiert: Dass Minderjährige im Asylverfahren wie Erwachsene behandelt werden. Dass sie ohne juristischen Beistand bleiben und in Sammelunterkünften zu verwahrlosen drohen. Dass sie keinen vollen Anspruch auf medizinische Versorgung, Schulbesuch, Berufsausbildung und sozialpädagogische Hilfe haben. Dass sie in Abschiebehaft sitzen und allein zurückgeschickt werden - "in ein ungewisses, nicht selten auch lebensbedrohendes Schicksal".

"Wir postulieren gewaltfreie Erziehung, aber es ist nichts anderes als Gewalt, was wir Kindern auf diese Weise antun", ärgert sich Riemann-Hanewinkel. Die Parlamentsmehrheit sieht das ähnlich. Schon zweimal, im September 1999 und im März 2001, forderte der Bundestag die Regierung auf, den Vorbehalt zu streichen - erfolglos. SPD-Minister Schily argumentiert, dass der Vorbehalt die Kinderrechte nicht beeinträchtigt - und dass die Bundesländer der Streichung zustimmen müssten. Doch die blocken ab. O-Ton Thüringen: "Erschwernisse bei der konsequenten Durchsetzung der Ausreisepflicht von Minderjährigen und ein zunehmender Missbrauch des deutschen Ausländer- und Asylrechts durch Personen, die ohne Vorlage von Dokumenten vortragen, minderjährig zu sein, wären die Folgen." Den Ländern gehe es ums Geld, sagt Riemann-Hanewinckel. Sie befürchteten Folgekosten, etwa für eine Heimunterbringung. Allerdings handle es sich um "irrationale Ängste". . Schätzungen zufolge halten sich 6000 bis 10 000 unbegleitete Flüchtlingskinder in Deutschland auf, pro Jahr kämen etwa 1000.

Die Kinderrechtler zitieren Max Weber, der Politik als das Bohren dicker Bretter beschrieb - und drängen weiter. Seit September hat die Regierung eine Aufforderung des Petitionsausschusses auf dem Tisch. Im Januar schrieb die Bundestags-Kinderkommission die Ministerpräsidenten an. Und am Donnerstag forderte das UN-Kinderhilfswerk, Kinderrechte in die deutsche Verfassung aufzunehmen. Druck macht auch eine "National Coalition" zahlreicher Fachorganisationen unter Schirmherrschaft von Bundestags-Vizepräsidentin Anke Fuchs. Sie verweisen auf eine Studie des Bremer Juristen Erich Peter, der bezweifelt, dass die Länder überhaupt gefragt werden müssen. Die Caritas nennt die rechtliche und soziale Situation von Flüchtlingskindern in Deutschland katastrophal, Pro-Asyl-Sprecher Heiko Kauffmann spricht von "erbärmlicher Politik". Und Jörg Maywald, Sprecher der "Coalition", erinnert an das "Ansehen Deutschlands in der Welt" - gerade mit Blick auf den UN-Weltkindergipfel Anfang Mai in New York.

Das Thema sei kein parteipolitisches, meint Leutheusser-Schnarrenberger. Entscheidend sei eher die politische Zuständigkeit. Auf der einen Seite die Menschen- und Familienrechtler, auf der anderen die Innenpolitiker. Und: Hier die Frauen, dort die Männer. Riemann-Hanewinckel kann das nur bestätigen: "Die Innenminister sind durch die Bank männlichen Geschlechts."

Eingeschränkt

Das "Übereinkommen über die Rechte der Kinder" wurde am 20. November 1989 von den Vereinten Nationen beschlossen. Mit der Ratifizierung am 5. April 1992 hat es der Bundestag zum verbindlichen Staatsrecht erklärt. Allerdings mit folgender Einschränkung: "Nichts in dem Übereinkommen kann dahin ausgelegt werden, dass die widerrechtliche Einreise eines Ausländers in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder dessen widerrechtlicher Aufenthalt dort erlaubt ist; auch kann keine Bestimmung dahin ausgelegt werden, dass sie das Recht der Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Verordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedingungen ihres Aufenthalts zu erlassen oder Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern zu machen."

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