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Politik: Alles deutet darauf hin, dass die katholische Kirche die Beratung verlässt - musste das so kommen? (Analyse)

Ein wichtiger Moment in der Geschichte der katholischen Kirche: Alles deutet daraufhin, dass der Papst den im Juni gefundenen Kompromiss zum 218-Beratungsschein erneut ablehnen wird. Eigentlich war das Drama programmiert.

Ein wichtiger Moment in der Geschichte der katholischen Kirche: Alles deutet daraufhin, dass der Papst den im Juni gefundenen Kompromiss zum 218-Beratungsschein erneut ablehnen wird. Eigentlich war das Drama programmiert. Faktisch hat nämlich der Zusatz auf dem Beratungsschein dessen Bedeutung für eine Abtreibung nicht verändert, solange er weiterhin als Legalisierungsschein dient. Damit wollten sich einzelne Bischöfe wie der Fuldaer Oberhirte, Erzbischof Johannes Dyba und der Mainzer Erzbischof Joachim Kardinal Meisner nicht abfinden, konservative Katholiken in Deutschland auch nicht und der Papst offensichtlich schon gar nicht. Das stürzt die katholische Kirche Deutschlands erneut in eine tiefe Krise. Das Zentralkomitee der Deutschen Katholiken spricht von einer "schweren Zerreißprobe".

Mit der Entscheidung gegen einen Verbleib der katholischen Kirche in der 218-Beratung steht und fällt die Glaubwürdigkeit der Kirche in ihrem gesellschaftlichen Engagement und ihre Verlässlichkeit als politische Kraft. Gesamtkirchlich ist die Frage bedeutsam, weil die Kirche vor einem Scheideweg steht: Volkskirche oder heiliger Rest? Längst geht es nicht allein um die Frage des Beratungsscheins, sondern vielmehr um ein Kirchenbild. Soll Kirche sich um die Menschen bemühen - in diesem Fall um die von Abtreibung betroffenen Frauen - auch um den Preis, dass Handeln und Moral punktuell auseinanderfallen? Oder soll die Kirche um der eigenen moralischen Aufrichtigkeit willen die Isolation in Kauf nehmen?

Noch schwerer wiegen allerdings die Folgen für die am kommenden Montag beginnende deutsche Bischofskonferenz. Deren Vorsitzender, der Mainzer Bischof Karl Lehmann, wird erneut öffentlich demontiert, die beiden Rechtsaußen Dyba und Meisner dagegen gestärkt. Ein Mehrheitsbeschluss der deutschen Bischöfe wird in Frage gestellt aufgrund der Intervention einer Minderheit. Schließlich wird Kardinal Meisner, der zuerst dem Kompromiss zustimmte, noch für sein wankelmütiges Verhalten belohnt.

Und was noch wichtiger ist: Diesmal wird ein neuer Vorsitzender der deutschen Bischofskonferenz gewählt. Oder auch der alte erneut. Lehmann wird einen schweren Stand haben. Seine Autorität ist geschwächt, Verhandlungen mit Politikern werden schwerer, das Zusammenhalten der katholischen Kirche Deutschlands scheint fast unmöglich. Keiner seiner Bischofskollegen hat sich demonstrativ hinter ihn gestellt, obwohl doch eine überwältigende Mehrheit die Entscheidung für einen Verbleib in der 218-Beratung und den modifizierten Schein mitgetragen hat. Hier wären die Kardinäle unter den Bischöfen gefragt gewesen.

Der Kardinalshut bleibt Lehmann nach zwölf Jahren zermürbender Vermittlungsarbeit weiterhin vorenthalten - Lehmann ist ein Vertreter der Volkskirche. Niemand könnte sich wundern, wenn der Mainzer Bischof den Stab hinwirft und sich künftig auf seine Aufgabe in der alten Metropole am Rhein zurückzieht. Mit fatalen Folgen für die Kirche - das weiß der Papst und seine Kollegen in der deutschen Bischofskonferenz wissen es auch. Nicht zuletzt deshalb beeilte sich nun der Sekrettär der Konferenz, der Jesuit Hans Langendörfer, zu erklären, Lehmann würde mit Gewissheit wiedergewählt. Wenn er will. Will er?

Ein verlorener Kampf, keine Rückendeckung durch die vorgesetzte Behörde, mangelnde Solidarität unter den Kollegen, Beschädigung des Rufes - was soll noch passieren, damit jemand zurücktritt? Doch so einfach ist das nicht. Es bleibt bei allen Verletzungen die Frage, was der Kirche mehr nützt - wenn er geht oder wenn er bleibt.

Selbst wenn es schwerer wird, den Bischöfen Dyba und Meisner noch ins Gesicht zu schauen: Lehmann wird jetzt mehr gebraucht denn je. Als Vermittler, der von Politikern ernst genommen wird, als Theologe, der seine Option für den 218-Schein im Blick auf die Menschen begründen kann, und als Hoffnungsträger für viele, die sich angesichts des üblen Spiels enttäuscht von der Kirche abwenden könnten.

Raoul Fischer

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