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Politik: Alles klar? Alles offen!

Von Gerd Nowakowski

Erster Irrtum: Die Wahl in Berlin ist ohne Bedeutung für den Rest der Republik, weil keine Bundesratsmehrheiten in Gefahr sind. Das soll sich niemand einbilden. Hier in Berlin werden die politischen Zukunftsmodelle für den Bund jenseits der großen Koalition erprobt: Rot-Rot oder auch Rot-Rot-Grün. Und Berlin, das ist die Hauptstadt, festgeschrieben nun im Grundgesetz. Dies wird Wirkung entfalten – und kosten. Denn Berlin, das in den vergangenen fünf Jahren gut gewirtschaftet hat und 2007 erstmalig seinen Haushalt aus eigenen Einnahmen bestreiten kann, wird dennoch allein niemals gesunden können. Die Last der alten Schulden erdrückt die Stadt. Nicht zu helfen durch eine Teilentschuldung, das kann sich die Bundesregierung nicht leisten, nicht in ihrer Hauptstadt, die weltweit ausstrahlt.

Zweiter Irrtum: Der Wahlkampf war langweilig. Ja, die schrille Tonlage fehlte, doch dieser Wahlkampf hatte Themen. Gebührenfreie Kindertagesstätten, die „Einheitsschule“ und die Zukunft des Flughafens Tempelhof – die Positionen sind in wenigen Wochen weit klarer geworden als zuvor in Monaten. Vor allem dank des CDU-Spitzenkandidaten Friedbert Pflüger. Den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, der angesichts seiner hohen Beliebtheit zuweilen zur Selbstherrlichkeit neigt, hat der Herausforderer gezwungen, sich zu erklären. Teilweise gegen die Programmatik der eigenen Genossen. Und Pflügers Attacken haben mögliche Bruchlinien der rot-roten Koalitionsgespräche markiert. Das kann noch Wirkung zeigen. Immerhin stimmen die Berliner anders als 2001, als dieses Bündnis erst nach der Wahl über sie kam, am heutigen Sonntag erstmals über Rot-Rot ab.

Dritter Irrtum: Die größten Probleme Berlins sind gelöst. Ordentlich administriert zu haben, ist längst nicht gut regiert. Was der robuste Finanzsenator Thilo Sarrazin getan hat, Haushaltssanierung und Personalabbau im öffentlichen Dienst, das waren Aufräumarbeiten, bei denen die Trümmer einer über Jahrzehnte verschwenderischen Politik beiseitegeräumt wurden. Kreative Politik fängt erst dahinter an. Daran mangelt es. Vor der versprochenen Verwaltungsreform etwa hat sich Rot-Rot lieber gedrückt, obwohl die behäbige Bürokratie die dringend benötigten Unternehmer und Investoren eher abschreckt als umwirbt. Schüler gehen drei Tage vor der Wahl für bessere Bildung auf die Straße, und Akademiker haben hier schlechtere Jobchancen als anderenorts die Hauptschüler – das ist die Berliner Armut. Wer das sexy findet, der macht den Berlinern was vor – trotz aller Lebensfreude und Kreativität, die es in dieser Stadt gibt.

Berlin kann mehr – das ist richtig. Pflügers Problem: Es fällt vielen Menschen schwer, ihn zu wählen – weil sie seiner Partei nicht zutrauen, es gut zu machen; Wowereit hingegen wird gewählt trotz seiner Partei. Die Union kann eben nicht vergessen machen, dass sie in den vergangenen fünf Jahren mehr mit innerparteilichen Personalien als mit der Programmarbeit beschäftigt war. Das noch zu korrigieren, dazu kam Friedbert Pflüger zu spät.

Vierter Irrtum: Alles ist entschieden. Sechs Wochen Wahlkampf in Berlin – und dennoch wissen vier von zehn Berlinern noch nicht, wen sie heute wählen wollen. Wowereits Koalition liegt nur knapp vorne. Hunderttausende werden sich erst in der Wahlkabine entscheiden. Heute Abend sind wir schlauer. In Berlin und auch im Bund.

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