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Politik: Alles wächst von unten

KIRCHENTAG UND LAIEN

Von Gerd Appenzeller

Herzlich willkommen, willkommen in der Hauptstadt der christlichen Minderheit. Mehr als zwei Millionen Berliner gehören keiner der beiden großen Konfessionen an. Das heißt nicht, dass sie ohne Glauben leben. Berlin ist Heimat für mehr als 220000 Muslime, für Juden und Buddhisten. Und Berlin ist auch die Stadt des gelebten Atheismus. Dies ist also genau der richtige Platz für den ersten Ökumenischen Kirchentag. Hier wird es garantiert niemandem langweilig. Und wenn Ökumene heißt, das Zusammenleben mit Menschen anderen Glaubens zu wagen und Gemeinsamkeiten zu entdecken – wo kann man das besser tun als hier? Also, nochmals: Von Herzen willkommen.

Die meisten Kirchentagsbesucher sind jung. Das war schon immer so bei den großen katholischen und evangelischen Laientreffen. Diesmal aber ist es ein besonderes Signal, denn den Kirchen laufen, statistisch, die Menschen davon. Entweder bleibt das in der Kirche organisierte Christentum eine Kraft oder verliert insgesamt die Zukunft. Ein Gedeihen der einen und ein Dahinsiechen der anderen großen Konfession wird es nicht geben. Nur im Dialog miteinander werden beide unter den Menschen bleiben. Deshalb ist die Jugend auf diesem Kirchentag so wichtig.

Eine Organisation, die hunderttausende von Jugendlichen anzieht, kann so von der Zeit überholt nicht sein. Aber der Andrang ist für die Amtskirche auch nicht ungefährlich. Die Kirchentagsbesucher sind nämlich ziemlich unduldsam, was ihre Suche nach Gerechtigkeit und ihre Leidenschaft für das Gemeinsame der Konfessionen betrifft. Wo sie die Amtskirche als Hindernis empfinden, werden sie sich nicht aufhalten lassen. Das klingt revolutionär. Aber das sagte man auch schon der Urkirche nach, und das ist jetzt 2000 Jahre her. 2000 Jahre können eine belastende Tradition sein, wie wir an dem mühsamen Weg zur Einheit der Kirchen merken. Aber welche Wucht steckt auch in einer Idee, die über 2000 Jahre hinweg von Generation zu Generation lebendig blieb.

Es liegt in der Natur der Jugend, dass sie sich weniger um die gelösten Probleme von gestern schert als die Lösung derer von heute verlangt. Für den EKDRatsvorsitzenden Kock ist das jetzt erreichte Maß an Gemeinsamkeit so etwas wie ein Aufbruch im Vergleich dazu, wie die Kirchen noch vor 30 Jahren miteinander umgegangen seien. Für die Generation Kock trifft das zu. Für die Generation Golf ist es völlig irrelevant.

Sie vertraut auf die sinnstiftende Kraft der christlichen Botschaft. Diese Jugend ist der lebende Beweis dafür, dass die Aufklärung die Religion nicht verdrängt hat und die Erkenntnisse der Naturwissenschaft nicht den Glauben an das Nichtbeweisbare. Und sie will sich vor allem nicht verzetteln. Die der Religion abgewandt Lebenden empfinden den ganzen Abendmahlsstreit, so sie ihn überhaupt zur Kenntnis nehmen, bestenfalls als bizarr. Menschen aber, die glauben, werden sich durch den Streit der Theologen nicht davon abbringen lassen, zum Abendmahl zu gehen, wo immer und mit wem immer sie wollen. Die Macht der Kirche über die Menschen ist versiegt. Sie hat, das ist ein großer Fortschritt und eine gewaltige Chance für die Kirche selbst, keine Gewalt mehr über den Menschen. Wer sich zu ihr bekennt, gehört dazu. Es ist eine Kirche ohne Mitläufer.

Und so werden sich die 200000 oder mehr Laien aller Konfessionen, die nach Berlin kommen, durch nichts die Freude an diesem ersten ökumenischen Kirchentag nehmen lassen. Vor allem nicht durch Debatten über Meinungsverschiedenheiten, die sie nur als Formalismen empfinden. Sie werden im erlebten Glauben zu neuen Erfahrungen voranschreiten. Ein Zurück in der Ökumene wird es nach Berlin nicht geben. Wenn die Kirchen damit Schritt halten – umso besser.

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