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Afghanistan

© Tsp

Alltag in Afghanistan: Brennende Schulen, wehrlose Polizei

Sie haben die Nase voll von Drohungen, Gewalt und Toten. Die Afghanen wollen nur Eines: in Frieden leben. Wie der Süden Afghanistans versucht, in ein normales Leben zurückzufinden.

Irgendwann hatten sie die Nase voll. Ständig Drohungen, niedergebrannte Schulen, Tote. Immer mehr Bürger der südafghanischen Provinz Zabul beschwerten sich über die Brutalität der Taliban. Zabul gilt nach Kandahar, Helmand und Urusgan als die gewalttätigste Provinz des Landes. Eine Friedensversammlung beauftragte den Rat, mit den Taliban zu verhandeln. Im Dezember machten sich Politiker und Mullahs also auf ins abgelegene Sharizufat. Es war kein freundliches Treffen – alle hatten ihre Gewehre dabei, erinnert sich der Vorsitzende des achtköpfigen Rats, Haji Hasim, in der Provinzhauptstadt Kalat. Der Mann mit den schon hellen Schläfen blickt sorgenvoll unter seinem kunstvoll gewickelten schwarz-grauenTurban hervor. Sie forderten: „Zündet unsere Schulen nicht an, lasst die Bauarbeiter in Ruhe, foltert und tötet nicht.“ Die afghanischen Talibankommandeure machten ein einziges Zugeständnis: „Sie sagten, sie bringen keine Leute mehr um.“

Alles andere lehnten sie ab und forderten: „Schickt eure Kinder nicht zur Schule, zieht die Unterstützung für die Isaf-Truppe zurück.“ Die Mitglieder der Schutztruppe seien Diebe ohne Plan, wie sie dem Land helfen könnten. Deshalb: „Wenn ihr ein soziales Problem habt, kommt zu uns,“ sagten die Taliban. Haji Hasim findet, die Isaf solle bleiben – auch wenn eine Delegation sich gerade bei Präsident Karsai beschwert hat, wie Isaf-Soldaten ihre Häuser durchsuchen und „Türen sprengen". Der Sprecher des Rats hofft, dass sie in Zabul bald selbst eine gute Polizei haben werden, die ihnen die Taliban vom Hals hält – die meisten seien keine Afghanen, sondern „Tschetschenen, Araber, Punjab aus Pakistan“.

Bisher sind nur drei Distrikte entlang der Straße von Kandahar nach Kabul einigermaßen sicher. Wie es im Nordzipfel ihrer Provinz aussieht, wisse auch der Gouverneur nicht – da komme kaum jemand hin, sagt der Chef des amerikanischen Wiederaufbauteams, Oberstleutnant Bryce Brakman. 18 Stunden dauert es durch unwegsames Gelände bis dort – knapp 180 Kilometer, aber so rechnen sie hier nicht. Brakman und seine Leute sind erst wenige Wochen in Kalat. Eigentlich war Pilot Brakman längst Zivilist. Nach den Anschlägen vom 11. September aber entließ United Airlines viele Piloten – er kam wieder zur Air Force. Inzwischen war er im Irak, nun ist er Chef eines zivil-militärischen Trupps aus Amerikanern, Rumänen und Kanadiern für den Wiederaufbau. Sie verlassen nur in gepanzerten Fahrzeugen ihren Stützpunkt. Aber Brakman hat das Gefühl, die Afghanen seien zu Amerikanern sehr viel freundlicher als die Iraker.

Sie arbeiten mit der afghanischen Armee. „Die Leute sollen sehen, dass die Entwicklung kommt, sobald es sicher ist“, erzählt Brakman in seinem leicht stickigen Konferenzraum. Er hört sich an wie die Deutschen, die im Norden arbeiten. Der ruhige Air-Force-Mann aus Kalifornien zerbricht sich den Kopf, wie er Hilfsorganisationen herbekommt. Sie wollen Straßen und Brücken bauen, eine Samenbank mit den Pflanzen der Region anlegen, die jahrtausendealten Wasseranlagen in Gang setzen, den Gouverneur beraten. Sie bauen Neu-Kalat – einen ganzen Stadtteil mit Gouverneurssitz, Bank, Hospital, Gericht und Konferenzzentrum. Aber alles dauert viel länger, als gedacht. Eine Straße wollten sie in drei Monaten reparieren – inzwischen dauert es ein Jahr.

Seine zierliche Kollegin von der Entwicklungsorganisation USAID findet immerhin, es geht voran. Die Hawaiianerin hat nach zehn Monaten hier gerade für 14 weitere verlängert. Die Hilfsorganisationen sollten nicht alles vor Ort selber machen wollen, meint sie. Sie könnten nach Kalat kommen, die Dorfältesten beraten, Projekte aushandeln und von Zeit zu Zeit selbst nach dem Rechten sehen. Das wäre sicher. Im Moment trauen sich selbst Afghanen nicht überall hin. Die Taliban verstecken sich nicht nur in den Bergen. Im E-Werk mitten in der Stadt verdingte sich einer als Wachmann. Eines nachts rief er seine Talibanfreunde, die zerschossen einen Generator. Nun gibt es nur noch zehn Stunden Strom am Tag. Der Verräter türmte. Würden sie ihn kriegen, sie knüpften ihn auf.

Der für die Schulen zuständige Direktor Abdul Anbi Wadon erzählt von entführten und misshandelten Lehrern, Mullah Hajlil haben sie gerade erst eine Hand und die Beine gebrochen. Von 170 Schulen der Provinz sind nur 50 geöffnet. „Bücher, Stifte, die würden wir von den UN kriegen“ aber – „unser Problem ist die Sicherheit“, sagt Wadon. Nur zehn Prozent der Menschen hier können lesen.

Najib Omary aus dem Bildungsministerium in Kabul rechnet es nüchtern vor: „Bei uns klafft eine Lücke von zweieinhalb Generationen. Uns fehlen 25 bis 30 Jahre Bildung.“ Die Regierung hat 2008 zum Jahr der Ausbildungsverbesserung ausgerufen. Omary ist stolz, dass 6,2 der 30 Millionen Afghanen inzwischen zur Schule gehen. Bildung ist der Schlüssel für die Zukunft, Voraussetzung dafür ist Sicherheit.

Die Amerikaner haben in Dschalalabad im Osten ein großes Ausbildungslager für Polizisten eingerichtet. Hier bilden US-Militärs und -Polizisten mit afghanischen Kollegen junge Männer aus – nebenan entsteht eine Akademie für Frauen. 322 Schüler haben sie im Moment, insgesamt soll das Land 82 000 Polizisten bekommen. Um korrupte Verbindungen zu kappen und die Rekruten der verschiedenen Ethnien zu einer stolzen nationalen Truppe zu machen, werden die Einheiten ganzer Distrikte für acht Wochen zum Training geholt. „Das ist unsere große Chance, alle zusammenzubringen. Oft stellen sich Hasara gegen Paschtunen und Paschtunen gegen Hasara. Aber wir sind alle Afghanen. Wir hatten hier 30 Jahre Bürgerkrieg, die Lehrer müssen Geduld haben“, sagt der afghanische Colonel Mufad Khan Rahimazi.

In sengender Sonne sitzt eine Gruppe Männer in wollener Uniform im Hof. Der Minister hat Winter befohlen, also bleibt die Baumwolluniform im Spind. Ein Bärtiger brüllt einen dürren Jungen an: „Stehen bleiben, Hände auf den Rücken, Beine breit.“ Mit ein paar Schritten ist er bei ihm, wirft ihn auf den Boden, legt ihm Handschellen an. Sie üben Festnahmen. Drei Männer robben über den Boden. Wohin bloß mit dem blauen Holzgewehr? Auch der afghanische Ausbilder weiß es nicht so recht, der US-Mentor macht es vor. Nach der Ausbildung begleiten die Mentoren ihre Gruppe einige Zeit in den Distrikt, quasi „embedded“, bis die neue Autorität im Ort ankommt. Dass die schicken grünen Pick-ups, die jeder Distrikt erhält, wohl auch als Taxen dienen, ist den Ausbildern klar – „sonst wäre es nicht Afghanistan“, grinst einer.

Bei der Ausbildung hätten sie am liebsten Hilfe von Europäern. Das hört der Chef der europäischen Polizeimission (Eupol) in Kabul, Jürgen Scholz, immer wieder. Doch: „Das ist schon rechtlich nicht möglich, das umfasst unser Mandat nicht.“ Aber sie arbeiten zusammen an einem einheitlichen Unterrichtsplan. „Ein Polizist, der seine Gesetze nicht versteht, der für Staatsanwalt und Richter keinen Bericht schreiben kann, der hat Schwierigkeiten“, sagt Scholz. Aber Lesen und schreiben lernen – „da reichen acht Wochen nicht.“

Haji Hasim und seine Leute werden noch Geduld haben müssen, bis alle ihre Kinder sicher zur Schule gehen können.

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