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ALLTAG IN AFGHANISTAN: "Das war’s jetzt"

Unsere Redakteurin Ingrid Müller war mehrfach in Afghanistan und hat mit deutschen Soldaten über ihren Alltag und ihre Ängste gesprochen. Hier ein kurzer Ausschnitt einer Begegnung.

Unsere Redakteurin Ingrid Müller war mehrfach in Afghanistan und hat mit deutschen Soldaten über ihren Alltag und ihre Ängste gesprochen. Hier ein kurzer Ausschnitt einer Begegnung.

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Martin, blond, schlank, Mitte 20. Zur Begrüßung verschwinden meine Finger in seinen Pranken. Ein bisschen

verlegen

legt er den Kopf schief. Soll er das wirklich sagen? Martin war in Kundus. Da, wo seit Monaten immer wieder Raketen auf das Lager des deutschen Wiederaufbauteams gefeuert werden. Er war im Innendienst. Aber dann haben sie gefragt, ob er mal raus will. Martin wollte. Jetzt war er schon Monate da, sein fünfter Auslandseinsatz, einmal wollte er sehen, in welchem Land er ist. Es wurden zwei Wochen Patrouille.

Martin schluckte. „Was habe ich gemacht? Die hatten wohl zu wenig Leute. Das war doch gar nicht mein Job.“ Seiner Frau hat er es nach langem Ringen erzählt. „Wenn was passiert wäre, hätte sie doch gedacht, ich lüge sie an.“ Sie war alles andere als begeistert. Martin hatte zu kämpfen: mit seiner Angst. „Da draußen laufen die Selbstmordattentäter rum, und wir gehen zu Fuß durch Kundus.“ Ein Scheißgefühl war das. „Im Kosovo haben sie uns immer gesagt, du stehst sowieso mit einem Bein im Gefängnis, wenn du einen erschießt.“ Sie wissen, dass sie nicht einfach drauflosschießen dürfen. Was, wenn plötzlich einer das Gewehr auf einen richtet? „Ich weiß nicht, ob ich da mein Regelbuch noch mal durchgehe.“

Dann eine Situation von vielen: Sie hatten sie instruiert, worauf sie achten sollten. Solange die Straße belebt ist, gilt sie als relativ sicher. Vorsicht ist geboten, wo kaum Menschen unterwegs sind. Oder wenn ein Fahrzeug allein am Straßenrand steht. Dann fahren sie durch die Stadt. Martin sieht das Moped im letzten Augenblick. Niemand steht daneben. Er schließt nur noch die Augen. „Ich dachte, das war’s jetzt.“ Irgendwann macht er die Augen wieder auf. Nichts passiert! Er ist heilfroh, als endlich die zwei Wochen rum sind.

Bangkok - Junge und alte Thailänder proben in Bangkok mit selbst gemachten Schlagstöcken den Aufstand, Polizisten prügeln Demonstranten, ein Anführer droht offen, die Polizeiwachen in Brand zu stecken. Touristen sehen entsetzt mit an, wie im Ferienparadies Phuket der Flughafen gestürmt und Fensterscheiben eingeschlagen werden: Chaos im „Land des Lächelns“, dessen Buddhisten eigentlich Genügsamkeit und Harmonie predigen. Die gewählte Regierung ist machtlos. Es droht ein Putsch - der 20. seit dem Ende der absoluten Monarchie 1932.

Die Aufrührer, die seit Mai mit Protestkundgebungen die Stimmung anheizen und seit fast einer Woche den Regierungssitz in Bangkok besetzt halten, sind oppositionelle Unternehmer, Akademiker und Aktivisten. Weil die Opposition im Parlament nichts gegen die Regierungskoalition aus sechs Parteien ausrichten kann, schüren sie einen Volksaufstand. Vor zwei Jahren hatten sie als loses Oppositionsbündnis „Volksallianz für Demokratie“ (PAD) damit Erfolg: Sie orchestrierten die Proteste, die im September 2006 zum Sturz des bei den Armen höchst populären Regierungschefs Thaksin Shinawatra führten. Nun gilt ihr Zorn seinem Nachfolger Samak Sundaravej, der offen als Thaksins Mann Wahlkampf machte.

Auch nach der Krisensitzung des Parlaments blieb er unnachgiebig: „Ich bin rechtmäßig gewählt, ich habe nichts falsch gemacht“, wiederholte der bullige Politveteran mehrfach.

Thaksin hatte das Land seit 2001 tief gespalten: Hier die urbane, konservative Elite in Bangkok, verwandt und verschwägert und gut vernetzt mit Militär und Königsfamilie – dort die armen Massen, die Thaksin mit billigen Krediten und billiger ärztlicher Versorgung für sich einnahm. Die Eliten fürchteten um ihre Pfründe.

„Dies ist ein Klassenkampf“, sagt eine Frau aus besten Kreisen, die sich von ihrer Klasse losgesagt hat und gegen das Establishment opponiert. Sie kritisiert den Machtapparat um den König. „Er kontrolliert alles“, warnt sie – im Verborgenen, denn die Gesetze gegen Majestätsbeleidigung drohen mit drakonischen Strafen. Manche Autos, die die Demonstranten mit Essen und Decken versorgen, hätten Kennzeichen des königlichen Haushalts, sagt sie. Der Armeechef hat die Forderung des Regierungschefs nach Verhängung des Ausnahmezustands zurückgewiesen und ihm den Rücktritt nahegelegt. Es sieht nach einem Stillhalteabkommen aus: Die Regierung lässt die Demonstranten in Ruhe, das Militär greift nicht ein.

Der PAD sind die armen Massen, die Thaksin und Samak wählten, nicht geheuer. Sie will „Demokratie“ im alten Stil, mit einem Drittel ernannter statt gewählter Abgeordneter und einem starken Militär. „Wenn es der PAD gelingt, Samak zu stürzen, ist das ein schwerer Schlag für die Demokratie“, sagt der Politologe Thitinan Pongsudhirak. „Es wäre der krönende Erfolg einer rechten, konservativen Gruppe, die gegen demokratische Wahlen ist.“ Christiane Oelrich, dpa

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