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Politik: Alte Bündnisse, neue Fragen Von Christoph von Marschall

So viel Prügel hat der Kanzler nicht verdient, jedenfalls nicht für den Inhalt seiner Rede: Die Nato muss sich Gedanken über ihre Zukunft machen und sich an die veränderte Weltlage anpassen, da hat der Kanzler Recht. Vergessen wir also mal, dass das Kanzleramt die Verwirrung durch unpräzise Textpassagen mit verschuldet hat.

So viel Prügel hat der Kanzler nicht verdient, jedenfalls nicht für den Inhalt seiner Rede: Die Nato muss sich Gedanken über ihre Zukunft machen und sich an die veränderte Weltlage anpassen, da hat der Kanzler Recht. Vergessen wir also mal, dass das Kanzleramt die Verwirrung durch unpräzise Textpassagen mit verschuldet hat. Sehen wir darüber hinweg, dass es die Verbündeten nicht vorab über die Zielrichtung von Schröders Rede informiert hat, wie es international üblich ist. Und ignorieren wir den Umstand, dass sich zunächst kein Regierungsmitglied berechtigt fühlte, den abwesenden Schröder zu interpretieren und das Missverständnis, er wolle die Nato beerdigen, aufzuklären.

Schröder hat den Finger in eine Wunde gelegt. Seit der Erweiterung des Bündnisses auf 26 Staaten gleichen offizielle NatoTreffen oft einem stundenlangen Ablesen nationaler Standpunkte, eine ernste Debatte über brennende Fragen ist kaum möglich. Mehrere entscheidende Strategiedebatten wurden und werden nicht im Bündnis geführt, nicht die um Irak und auch nicht die um das Atomprogramm Irans. Schröders Frage, wie man den politischen Dialog neu strukturieren kann, hat also ihre Berechtigung. Aber geht es dem Kanzler darum, die Nato wieder zum „primären Ort“ strategischer Konsultationen zu machen? Oder will er, wie das bei einigen Verbündeten verstanden wurde, die Nato abwerten und im Gegenzug die Europäische Union als Gesprächspartner gegen die USA aufwerten? Kritiker verweisen darauf, dass er seine kritische Zustandsbeschreibung des Bündnisses mit keinem Wort des Bedauerns, keinem „leider“ garniert habe. Das Misstrauen der Verbündeten ist groß. Wenn seine Rede als Charmeantwort auf die Charmeoffensive der neuen US-Außenministerin Rice vor wenigen Tagen in Berlin gedacht war, ist sie misslungen.

Schröders konkrete Vorschläge zur Abhilfe sind zudem wolkig: Nach dem Vorbild der UN-Reform soll ein Panel unabhängiger Persönlichkeiten aus den USA und der EU die Lage analysieren und 2006 einen Bericht vorlegen, schlägt er vor. An wen ist gedacht? Die vom SPD-Außenpolitiker Erler vorgeschlagenen früheren Nato-Generalsekretäre können es kaum sein, denn da kommt nur einer in Frage: George Robertson. Javier Solana hat als oberster EU-Außenpolitiker keine Zeit, Manfred Wörner ist tot, Willi Claes zu alt.

Die Nato verliert trotz ihrer Probleme nicht an Bedeutung, wie Schröder suggeriert. Sie erlebt nur gerade einen Bedeutungswandel – wie mehrfach seit dem Ende des Kalten Krieges. Die Allianz irrelevant? Das hat man seit 1989 oft gehört. Aber Totgesagte leben länger. „Out of area or out of business“ war die erste Antwort des Bündnisses: Mitte der 90er Jahre war man froh, dass es die Allianz gab und sie, wenn auch spät, das Morden erst in Bosnien, dann im Kosovo beendete. Und damit Verantwortung außerhalb des Bündnisgebiets übernahm, das nicht mehr bedroht war. Heute sichert sie auf dem Balkan und in Afghanistan den Frieden. Und wer könnte einen Nahostfrieden, auf den alle hoffen, besser bewachen als die Nato, eben weil die europäisch-amerikanische Allianz für beide Konfliktparteien glaubwürdig ist? Erstaunlich sei doch gerade, dass die historische Regel „Neue Weltlagen suchen sich neue Bündnisse“ für die Nato nicht gelte, sagte Schröders Außenminister Fischer nur einen Tag nach der Aufsehen erregenden Analyse des Kanzlers. Die Nato sei unverändert attraktiv für neue Mitglieder und spiele in vielen Krisenregionen die entscheidende Rolle.

Überfordert ist die Nato nur dann, wenn Amerikaner und Teile Europas sich nicht auf gemeinsame Ziele und Strategien einigen können: wie im Irak und jetzt in Iran. Warum trägt Schröder diese Fragen nicht von sich aus ins Bündnis? Weil er gar nicht möchte, dass die Nato sich im Irak engagiert oder sich um Irans Atomprogramm kümmert. Die Reform des politischen Dialogs mit den USA ist ein wichtiger Vorschlag. Daneben hat der Kanzler aber manche Krokodilsträne vergossen. Er lässt ja selbst einige Chancen ungenutzt, die Nato zu stärken. Die Allianz wird noch gebraucht.

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