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Politik: Alte Karten, neuer Kollateralschaden

WASHINGTON .Knapp zweihundert Meter liegen zwischen zwei Gebäuden in Neu-Belgrad, die beide drei Jahre alt und fünfstöckig sind.

WASHINGTON .Knapp zweihundert Meter liegen zwischen zwei Gebäuden in Neu-Belgrad, die beide drei Jahre alt und fünfstöckig sind.Das eine steht nicht mehr.Hier schlugen in der Nacht von Freitag auf Sonnabend drei lasergesteuerte Bomben ein, die von einer "B-2" abgefeuert wurden.Während die chinesische Botschaft zerstört ist, steht, eine Straßenkreuzung entfernt auf der anderen Seite des Lenin-Boulevards, das eigentliche Ziel des Angriffs noch: die jugoslawische Bundeszentrale für Nachschub und Auftragsvergabe.Alte Karten werden für den bislang folgenreichsten Irrtum des Luftkrieges verantwortlich gemacht.Die Karten entstehen in Washington, beim Geheimdienst CIA und bei der DIA, der "Defense Intelligence Agency", dem Geheimdienst im Pentagon.Warum die längst aus dem alten Stadtzentrum Belgrads verlagerte Botschaft der Volksrepublik nicht verzeichnet war und die Nachschub-Verwaltung bei der Zielfestlegung von der Süd- auf die Nordseite des Lenin-Boulevards wanderte, ist bislang unklar.Klar ist, daß mindestens drei Stellen die Zielfestlegung prüften und absegneten: Der US-Generalstab, das Europäische Kommando der US-Streitkräfte und die Nato.

Je nach der Wahrscheinlichkeit, daß ein Angriff zivile Opfer nach sich ziehen könnte, werden die Ziele für die Nato-Bombardements in drei Kategorien eingeteilt.Die chinesische Botschaft, mit der Nachschub-Verwaltung, ihren Lagerhallen und vielen Freiflächen ringsum verwechselt, bekam eine niedrige Einstufung.Nur bei der höchsten, bei sensiblen Zielen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit des sogenannten Kollateralschadens, wird Bill Clinton um die Absegnung eines Zieles gebeten.

CIA-Chef George Tenet und US-Verteidigungsminister Bill Cohen haben am Wochenende in einer seltenen gemeinsamen Erklärung betont, daß es sich um einen Fehler handele, dessen Wiederholung äußerst unwahrscheinlich sei.Auf Fragen, ob die Fehlplaner mit Konsequenzen rechnen müßten, antworten Nato-Sprecher bislang nicht.Noch ist unklar, wem die Verantwortung für die inaktuellen Karten anzulasten ist.An Mangel an Ortskenntnis kann es eigentlich nicht liegen.Mehrere US-Diplomaten in Belgrad waren zu Terminen und gesellschaftlichen Ereignissen in der neuen Botschaft Pekings, darunter auch der Militärattaché, der für aktuelle militärische Lagepläne verantwortlich ist.18 000 Einsatzflüge gab es bislang über Jugoslawien, und 9000 Bomben und Raketen wurden abgefeuert.Gut ein Dutzend ging daneben oder war falsch programmiert.Dies ist eine Quote, mit der die Militärplaner eigentlich leben könnten.Der Kollateralschaden ist eben politisch.

Probleme mit der Zuverlässigkeit von CIA-Angaben gibt es, seit es den Geheimdienst gibt.Die wirtschaftliche Stärke des Ostblocks wurde jahrzehntelang überschätzt.Den kommenden Sturz Saddam Husseins versprachen mehrere CIA-Chefs ihren Präsidenten Bush und Clinton.1991 beschossen die USA einen Bunker in Bagdad, in dem Zivilisten Zuflucht gesucht hatten - eine CIA-Karte verzeichnete dort ein Waffenlager.In neuerer Zeit kam die Stichhaltigkeit der Erkenntnisse unter Beschuß, wonach das im August 1998 bombardierte Pharma-Werk in Sudan chemische Kampfstoffe produziert haben soll.Vom ersten indischen Atomwaffentest im Mai 1998 war die CIA ebenfalls überrascht.Umgekehrt wurden mehrfach Hinweise auf kommende Terrorakte verschlafen.Wenige Monate vor dem Autobombenattentat auf die US-Botschaft in Kenia im August 1998 mahnte US-Botschafterin Bushnell dringend verstärkte Sicherheitsmaßnahmen an.Keine drei Monate vor dem Anschlag im saudischen Dahran 1996 wies der zuständige Sicherheitsoffizier auf mangelnde Schutzvorkehrungen hin.

Am Revers des US-Geheimdienstes prangt seit kurzem eine neue Ehrennadel."Einer der besten Arbeitgeber für Absolventen in den Rechtswissenschaften" - hat eine Fachzeitschrift für Jung-Juristen die CIA bezeichnet.Der Titel ist weniger ein Hinweis auf Rekrutierungsprobleme, als vielmahr einer auf den öffentlicheren Umgang Amerikas mit seiner CIA.Immerhin wissen die US-Bürger neuerdings, was ihnen der Geheimdienst wert ist: 26,7 Milliarden Dollar im Jahr.Auch diese Zahl war lange geheim.

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