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Politik: Alte Strukturen, neue Köpfe - Interview mit dem wirtschaftspolitischen Sprecher der BündnisgrünenWerner Schulz

Werner Schulz (49) ist seit Oktober wirtschaftspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen. Mit ihm sprachen Matthias Meisner und Bernd Ulrich.

Werner Schulz (49) ist seit Oktober wirtschaftspolitischer Sprecher der Bündnisgrünen. Mit ihm sprachen Matthias Meisner und Bernd Ulrich.

"Spuren der Macht" - unter diesem Motto hat die Fotografin Herlinde Koelbl Spitzenpolitiker über Jahre beobachtet. Was wäre zu sehen, wenn Sie zehn Jahre lang fotografiert worden wären?

Ich staune selbst manchmal über Bilder von mir. Vor zehn Jahren ein revolutionärer Aufbruch, entschlossener Blick, noch kein graues Haar. Enttäuschung nach der Volkskammerwahl, mit letzter Kraft 1990 im Bundestag angekommen. Überraschung, als wir acht Leute von Bündnis 90 plötzlich unvermittelt den ganzen grünen Scherbenhaufen aufräumen mussten, diese gescheiterte WG. Da sieht man die Anspannung wie bei einem Tagelöhner in Workuta. Es folgt eine Momentaufnahme der Freude, als die Vereinigung von Bündnis 90 und den Grünen gelang, da war ich glücklich. Dann kommt die nervenaufreibende Phase der Koalitionsbildung 1998.

Werner Schulz als Spiegelbild der Entwicklung der Grünen im Osten?

Ich stelle keine Heiterkeit zur Schau. Charaktermasken gibt es genug.

Können denn die Grünen in den neuen Ländern überhaupt wieder hochkommen?

Es liegt mir nicht, leichtfertig Hoffnung zu verbreiten. Wir haben nachhaltige Niederlagen zu verkraften und müssen jetzt an einer gemeinsamen Perspektive arbeiten. Nur wenn wir auf Bundesebene an Statur gewinnen, werden wir im Osten auf die Beine kommen.

Während die Grünen den Osten verlieren, erobert die PDS den Westen?

Das wäre vor allem für die SPD eine tragische Entwicklung. Berlin ist der Mikrokosmos, der das vorweg nimmt. Rot-Grün hat etliche Wähler verprellt, die von der PDS aufgesammelt werden.

Wie kann Ihre Partei inhaltlich wieder auf einen Nenner kommen?

Wir müssen in den Kernfragen, die die Wähler bewegen, mehr Präsenz zeigen. Wir haben zu viele Sprecher, aber keine klare Botschaft.

Grün-spezifische Strukturen wie die Frauenquote oder die Trennung von Amt und Mandat haben ihre Partei unterscheidbar gemacht. Warum hilft das nicht mehr?

Beim Wähler ist damit nichts mehr zu gewinnen. Historisch gesehen haben wir eine gesellschaftliche Diskussion und Entwicklung angestoßen. Heute müssen wir aufpassen, dass die Frauenpolitik nicht auf die Quote verengt wird. Sie muss als eine nach wie vor wichtige Querschnitt-Aufgabe zum Ausdruck kommen. Für mich greifen die bisher vorliegenden Vorschläge für neue Parteistrukturen zu kurz. Wir brauchen Arbeits- und Entscheidungsstrukturen einer Regierungspartei, wir können unsere Ressourcen nicht weiter so verschwenden. Die Trennung von Amt und Mandat hing immer mit einem Argwohn gegenüber der Häufung von Ämtern zusammen. Jetzt erleben wir, dass wir einen virtuellen, frei schwebenden Vorsitzenden mit Rieseneinfluss haben. Dabei wollten die Grünen solche informellen Machtstrukturen vermeiden.

Welche Strukturen wollen Sie?

Die zuständige Kommission müsste jetzt klare Alternativen vorgeben. Nicht nur den kleinsten gemeinsamen Nenner suchen und innerhalb dieses kleinsten gemeinsamen Nenners drei Varianten vorgeben. Nüchtern betrachtet, werden doch für die alten Strukturen nur neue Köpfe gesucht.

Mit Blick auf Joschka Fischer heißt das?

Es gibt natürliche Autoritäten, die setzen sich durch. Werden sie nicht in die Verantwortung genommen, demokratisch legitimiert und gewählt, bilden sich interne Zirkel, die überhaupt nicht mehr durchschaubar sind.

Was für ein Ergebnis würde Fischer denn bekommen, wenn er auf einem Parteitag gewählt würde?

Erstmal wäre wichtig, dass er sich stellt. Die Partei muss den Weg für eine solche Wahl freimachen. Bisher wird nur Katz und Maus gespielt. Der unheimliche Vorsitzende will nicht, und die Partei tut so, als könne alles beim Alten bleiben. Es wäre allerdings gefährlich, wenn wir uns nur auf eine Person verlassen würden.

Hat Fischer denn als Außenminister die richtige Aufgabe?

Wir sind nicht für die Außenpolitik in den Wahlkampf gezogen, sondern für den ökologischen Strukturwandel. Wir hätten an erster Stelle ein Ressort Ökologie plus Wirtschaft oder Verkehr oder Zukunft gebraucht.

Darum kümmert sich doch Jürgen Trittin.

Trittin ist vor der Bundestagswahl nicht gerade durch Umweltpolitik aufgefallen. Die Partei hätte sich an dieser Stelle klar gegen persönliche Ambitionen durchsetzen müssen und Joschka Fischer nominieren sollen. Als ehemaliger Landesumweltminister in Hessen hätte er gute Voraussetzungen mitgebracht. Es wäre richtig gewesen, dass unser bester Mann unser wichtigstes Thema vertritt.

Es hört sich manchmal so an, als hätten Sie die Grünen schon abgeschrieben . . .

Keinesfalls. Aber wir sind im vergangenen Herbst freudetaumelnd in diese Koalition gegangen, obwohl die Wähler eher eine Große Koalition wollten. Wir hätten Rot-Grün neu buchstabieren müssen, statt einen schnellen Koalitionsvertrag abzuschließen. Wir sind mit einem Schiff mit Konstruktionsfehlern auf Fahrt gegangen. Die strategische Ausrichtung fehlte. Wir dürfen uns nicht auf wenige Wahlversprechen reduzieren lassen. Sonst bleibt uns am Ende nur ein halber Erfolg bei der doppelten Staatsbürgerschaft, ein ungewisser Atomausstieg und eine Ökosteuer, die als Rettungsring auf Riesters Rentenkasse liegt. Wenn wir jetzt Korrekturen vornehmen, dürfen sich die Leute, die wir in der Regierung haben, nicht länger nur eng für ihre Ressorts engagieren. Sie müssen übergreifend Verantwortung übernehmen, bei anderen Themen wie der Renten- oder Steuerreform mitmischen.

Die Parteienlandschaft verändert sich. Werden die Grünen untergepflügt?

Nein. Die beiden liberalen Parteien FDP und Bündnisgrüne stehen vor wirklichen Existenzkrisen. Im Osten allerdings sind wir überhaupt noch nicht angenommen worden. Dort entscheiden sich die Wähler klipp und klar zwischen CDU und PDS, also zwischen denen, die verdienen, und denen, die vergessen wollen.

Rufen Sie noch einmal nach Schwarz-Grün?

Wir hätten dieses Modell auf Länderebene längst testen müssen, um zu sehen, mit welcher Volkspartei die Grünen weiter kommen. Selbst die Linke bei den Grünen hat das mittlerweile aufgegriffen. Sogar in Berlin käme das in Frage, wenn sich die Union ändern würde. Strategisch ist die Sache für uns dringender denn je. Gerade wegen der informellen Großen Koalition, die sich im Bund zwischen Bundestag und Bundesrat zusammenschiebt, werden wir sagen müssen, wo wir stehen. Sind wir der eingeschlossene Koalitionspartner, der auf Gnade und Verderb mit der SPD geht?

Was würde Herlinde Koelbl für ein Bild von Ihnen machen, wenn Sie wieder mehr Macht bei den Grünen hätten?

Ich würde Farbe ins Gesicht bekommen und Anspannung spüren. So ist es schmerzhaft zu sehen, wie die Sache läuft.

\"Spuren der Macht\" - unter diesem Motto hat die Fo

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