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AfD-Parteisprecher Bernd Lucke.

© Davids/Fischer

Alternative für Deutschland: Bernd Lucke räumt auf

Ein typischer Satz von Bernd Lucke klingt so: „Das demokratische Leben im Land ist erstarrt.“ Weil er das glaubt, will der Professor für Volkswirtschaft mit der Partei „Alternative für Deutschland“ in den Bundestag einziehen. Damit das klappt, versucht er, überall gleichzeitig zu sein.

Der große Saal im Restaurant „Tegeler Seeterrassen“, durch die schweren Vorhänge verschwimmt der Blick auf den See, eine Diskokugel hängt über den rund 200 Menschen, die sich dort am Samstagmorgen um 8.30 Uhr versammelt haben. Es tagt der Landesverband Berlin der AntiEuro-Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD), die Liste für die Bundestagswahl soll aufgestellt werden. Immer wieder bilden sich kleine Grüppchen im Saal, die Bar hat schon geöffnet.

Vorne auf dem Podium wartet Günther Brinker, einer von drei verbliebenen Sprechern des Landesverbands. Die zwei anderen sind in den vergangenen Tagen zurückgetreten. „Es macht keinen Spaß“, sagt Brinker. „Sie wissen doch, wen wir gegen uns haben: Die Großindustrie will den Euro behalten und die alten Parteien versuchen alles, um uns zu schaden.“ Fast wäre der Verband kurz vor dem Listenparteitag auseinandergebrochen. Wegen Personalquerelen, die zuletzt wohl nicht einmal mehr die Beteiligten so richtig verstanden.

Es war also Zeit, dass Bernd Lucke nach Berlin kam. Lucke ist das Gesicht der AfD. Offiziell ist er zwar nur einer von drei Sprechern des Bundesvorstands. Doch ohne ihn läuft nichts in der Partei. Schon bevor er die Versammlung offiziell eröffnet, kommen immer wieder Mitglieder zu ihm, sie klopfen ihm auf die Schulter, sprechen ihn mit „Herr Professor“ an. „Herr Professor, darf ich Sie auch mal etwas fragen?“

An diesem Morgen in Tegel ist Lucke nicht gekommen, um gegen den Euro zu kämpfen, sondern gegen die „Querulanten“, wie er sie selbst später nennt. „Es heißt Wahlversammlung und nicht Streitversammlung“, sagt Landeschef Brinker, bevor er den Professor zum Rednerpult bittet. Lucke spricht frei, die rechte Hand klammert sich an das Pult, die linke hebt er nur manchmal zaghaft nach oben. Er hat sich für offensive Verteidigung entschieden. „Ich habe mich in den letzten Tagen ein bisschen gefragt: Sind die denn in Berlin meschugge geworden?“ Mit „Berlin“ meint Lucke diesmal nicht die Kanzlerin, den Bundestag oder die „Altparteien“. Nein, er meint seinen eigenen Landesverband. „Ich weiß nicht, was in diesen Verband gefahren ist“, sagt er. „Ich habe mit unendlich vielen Leuten gesprochen in den vergangenen Tagen.“

Tatsächlich hatten viele auf Lucke sehnlichst gewartet. Seinen eigentlichen Coup an diesem Tag hält er zunächst noch geheim. Es folgen erst einmal zwei Stunden lähmender Geschäftsordnungsanträge und Verfahrensfragen. Lucke leitet die Sitzung. „Habe ich mich verständlich ausgedrückt?“, fragt er, als andere längst den Überblick verloren haben.

Bernd Lucke hat Angst, die AfD könnte daran zerbrechen, dass zu viele Leute mitreden wollen oder dass ganze Wahllisten ungültig werden, nur weil formale Fehler gemacht wurden. Er sagt aber auch: „Ich kann nicht überall sein.“ Manchmal versucht er das in diesen Tagen trotzdem. Da tritt er dann bei „Hart, aber fair“ und „Maybrit Illner“ auf, und dazwischen gibt er immer dienstags Vorlesungen in „Makroökonomik I“ an der Hamburger Universität.

Bernd Lucke, das merkt man schnell, ist jemand, der Exaktheit mag. Fragt man ihn nach einem Vorbild, dann nennt er Friedrich Wilhelm I., den „Soldatenkönig“, der dem preußischen Staat ein straffes Korsett verordnete. Der Staat müsse sich mehr als jeder andere an die Regeln halten, die er aufstelle. Ihn stören deshalb nicht so sehr die Griechen oder Italiener, die über ihre Verhältnisse gelebt haben, sondern es sind vor allem die vielen Kurswechsel von Kanzlerin Angela Merkel, die Vertragsbrüche Deutschlands bis zurück in die Schröder-Zeit, die ihn beschäftigen. Mit heller Stimme, aber ruhig im Ton, sagt er: „Der Bruch der No-Bail-Out-Klausel im Mai 2010 war ein politischer Skandal.“ Damit meint er den Beginn der Griechenland-Rettung.

Diese Entscheidung, Griechenland erst einmal auszuhelfen, muss ein einschneidendes Erlebnis für Bernd Lucke gewesen sein. Denn bis dahin war er 33 Jahre lang Mitglied in der CDU. Zwar kein aktives, wie er sagt, aber ein Austritt war für ihn bis dahin auch nicht infrage gekommen. Er hätte wohl auch in der Union Karriere machen können. Jedenfalls war er Anfang der 90er Jahre Referent beim damaligen Berliner Finanzsenator Elmar Pieroth. Lucke arbeitete während seiner Doktorandenzeit auch für die DDR-Regierung, als es um die Einführung der Marktwirtschaft ging. Abgeschreckt habe ihn allerdings, wie Ende der 80er Jahre Beamte mit CDU-Parteibuch vom SPD-Senat Walter Mompers kaltgestellt worden seien, sagt er. Deshalb habe er sich für eine Laufbahn in der Wissenschaft entschieden.

Der Berliner Lucke („Ich bin mit Spreewasser getauft“) erhielt dann 1998 einen Ruf an die Hamburger Uni. Und wenn die Euro-Krise nicht gekommen wäre, dann hätte er wahrscheinlich nie in den Talkshowsesseln der Republik Platz genommen, aus ihm wäre vermutlich nie ein Politiker geworden.

Er selbst hört diesen Begriff nicht sehr gerne: „Als Politiker sehe ich mich nicht, zumindest solange ich noch kein Mandat habe.“ Er legt Wert auf die Feststellung, dass er immer noch in Teilzeit an der Uni arbeitet. Wenn man ihn fragt: „Wie viele Veranstaltungen haben sie so im Moment?“, dann zögert er kurz und antwortet: „Lehrveranstaltungen, meinen Sie?“

Noch immer ist Lucke recht schwer per Handy zu erreichen. Besser erwischt man ihn übers Festnetz, im Norden Niedersachsens. „Wann ist noch mal der nächste Termin in Berlin?“, fragt er dann seine Tochter, die im Hintergrund in den Kalender schaut. Fünf Kinder hat Bernd Lucke, sie sind zwischen 12 und 20 Jahre alt. „Ich habe gelesen, dass ihre Tochter auch eingetreten ist?“, fragt ihn ein Mitglied am Rande des Berliner Parteitreffens. „Ja, das stimmt“, sagt Lucke und seine Augen beginnen zu glänzen. „Sie hat sich selbst dafür entschieden und bezahlt die 2,50 Euro Beitrag auch von ihrem Taschengeld.“ Auch der zweitälteste Sohn sei in die AfD eingetreten, erzählt er, sein ältester Sohn dagegen sei etwas „internationalistischer“ angehaucht. Gerade habe er eine Zeit lang in Ruanda verbracht. Er sehe die Probleme der Euro-Krise, aber er sei der Meinung, man müsse Griechen und Italienern helfen, indem man Produkte aus diesen Ländern kauft. Viel diskutiert werde zu Hause in Winsen an der Luhe.

Einer in der Parteispitze, der sich in AfD und CDU gleichermaßen gut auskennt, sagt über Bernd Lucke, dieser erinnere ihn an den jungen Friedrich Merz. Merz, das war der frühere Unionsfraktionschef, der sich von Angela Merkel weggemobbt fühlte. Und Merz war einer, der immer wieder mal mit der Idee einer bürgerlichen Protestpartei in Verbindung gebracht wurde. Merz, Wolfgang Clement, Hans-Olaf Henkel, diese Namen wurden stets genannt, wenn es darum ging, dass manche Menschen mit dem herkömmlichen Parteienangebot unzufrieden sind. Doch getraut, eine neue Partei zu gründen, hat sich keiner von ihnen. Selbst Henkel tritt jetzt nur als Unterstützer der AfD auf, nicht aber als Parteimitglied. Lucke sagt: „Ich glaube, einen Prominenten brauchen wir gar nicht mehr.“

Er wägt seine Worte genau ab, und es hat ihn ungemein geärgert, als ein Interview in der vergangenen Woche so interpretiert wurde, als wolle er gezielt Sympathisanten der NPD ansprechen. „Jetzt muss ich genau formulieren“, sagt er, wenn man ihm eine etwas heiklere Frage stellt. Zum Beispiel die, ob ihm die ganze Sache mit der Politik denn Spaß mache. „Man freut sich über die Anerkennung, die man bekommt“, antwortet er. Es ist das höchste der Gefühle, was man in dieser Hinsicht von ihm zu hören bekommt. Lieber redet er über andere Dinge, Parallelwährungen, Schuldenschnitte und Wettbewerbsfähigkeit, und ein typischer Lucke-Satz klingt dann so: „Das demokratische Leben in Deutschland ist erstarrt.“ Der Professor sagt das mit einer Bestimmtheit, als referiere er gerade Grundlagenwissen vor Studenten – empirisch erwiesen und nicht wegdiskutierbar. Eine Politik aus dem Lehrbuch, das ist es, was Lucke vermutlich gerne durchsetzen würde. Dafür bräuchte er aber mehr als die drei Prozent Zustimmung, die die AfD in Umfragen gerade bekommt.

Zurück in den „Tegeler Seeterrassen“ ist der Ausgang der Wahlversammlung noch immer offen. Denn nach Lehrbuch geht der Aufbau der „Alternative“ nicht gerade voran. In der ersten Reihe hat Joachim Starbatty Platz genommen, auch er ein Professor für Volkswirtschaftslehre, inzwischen emeritiert. Starbatty wurde bekannt dadurch, dass er schon in den 90ern gegen den Euro klagte. Vor zwei Tagen erst ist er in die AfD eingetreten und später wird Lucke sagen können: „Ja, das habe ich gut hingekriegt.“

Starbatty, der in Tübingen wohnt, wird plötzlich als Berliner Spitzenkandidat vorgeschlagen. Die Parteimitglieder, von denen nicht klar war, ob nicht einer dem anderen noch an die Gurgel gehen würde, stehen nun auf, klatschen Beifall, jubeln über den 73-Jährigen, der gerade darüber spricht, wie er 1970 in die CDU eintrat. „Ich bin ein Europäer bis in die Haarwurzel“, sagt Starbatty. Und über Bernd Lucke sagt er: „Ich habe noch nie erlebt, dass ein Professor in der Lage ist, ein Land so zu verändern.“

Zumindest den Berliner Landesverband hat Lucke an diesem verregneten Samstag möglicherweise verändert. Möglicherweise aber auch nicht. Denn inzwischen hat er wohl erfahren, dass Politik eben nicht nur bedeutet, in einer Sache recht zu haben, sondern auch ein ziemlich schmutziges Geschäft sein kann. „Es wäre auch eine naive Vorstellung, dass sich der Aufbau der Partei in einem glatten Verlauf fortsetzt“, sagt Lucke.

Wie schwierig es ist, eine Partei von oben nach unten aufzubauen, ließ sich eine Woche zuvor bei dem Versuch von zehn Herren studieren, eine Bezirksgruppe Mitte der AfD zu gründen. Im Hinterzimmer eines indischen Restaurants wurde darüber diskutiert, warum der Berliner Landesverband erst einmal in die Negativschlagzeilen geraten war. „Wir durchleben die schwerste politische Krise der Bundesrepublik. Und wir benehmen uns hier wie in der Schule, das kann nicht sein“, schimpfte ein Herr, während der Kellner Gläser mit Weizenbier brachte.

Vor allem einer musste sich bohrende Fragen gefallen lassen: Matthias Lefarth, 47 Jahre alt, braungebrannt, ein smarter Typ im blau gestreiften Businesshemd. Lefarth ist Abteilungsleiter für Steuerpolitik beim Zentralverband des Deutschen Handwerks. Bevor die Parteispitze Starbatty aus dem Ärmel schüttelte, hatte er für die Berliner AfD so etwas wie ein Mini-Lucke werden sollen: Ein Mann, der etwas von Wirtschaft versteht, eloquent, unverbraucht, unaufgeregt, aber mit parteipolitischer Erfahrung. Erst vor kurzem war er aus der FDP ausgetreten.

Doch dann passierte etwas, was zunächst wie ein Einzelfall aussah, dann aber doch recht symptomatisch wurde für die Anfangsprobleme der neuen Partei: Lefarth warf nach nur sechs Tagen im Amt entnervt hin. In der Partei will er zwar weiter aktiv sein und Steuerkonzepte für Bernd Lucke ausarbeiten. Seinen Posten aber ist er los. „Ein tragischer Fall“, kommentiert ein Parteimitglied. „Ich fühlte keine Rückendeckung im Vorstand mehr“, sagt Lefarth. Tatsächlich muss es völlig chaotisch zugegangen sein.

Eine Mehrheit im Vorstand soll versucht haben, sich hinter dem Rücken von zwei der drei Landeschefs zu verabreden. Nur kurz nach Lefarth warf dann auch die zweite Sprecherin Annette Goldstein hin, zuvor war deren Mann als Landesgeschäftsführer geschasst worden. Der sagt, die Partei werde von „Zeloten, Politsektierern und Glücksrittern“ beherrscht, denen es nur um Mandate gehe. Berlins Anti-Euro-Bewegung war kurz nach der Gründung tief in die Krise gerutscht. Es tobte ein bizarrer Kleinkrieg im Landesverband, Facebook-Gruppen wurden eingerichtet, vermeintlich kompromittierende Fotos öffentlich gepostet und Rechtsanwälte eingeschaltet. Bernd Lucke standen die „Haare zu Berge“, wie er in einer nächtlichen Mail an ein Berliner Parteimitglied bekannte. Mit Starbattys Berufung soll nun Ruhe einkehren.

Der auch von Starbatty geforderte Kampf um die „geordnete Auflösung des Währungsgebiets“ kann in Berlin allerdings nur weitergehen, wenn die Bezirksgruppe Mitte, wie auch in den anderen Wahlkreisen, bis in den Juni 200 Unterstützungsunterschriften gesammelt hat. Die Parteispitze hat für ihre Mitglieder ein paar Sprechzettel zusammengestellt, auf denen steht, wie das mit der Euro-Auflösung funktionieren soll. Einer aus dem Landesvorstand schüttelt den Kopf: „Kürzlich hat mich doch tatsächlich ein Mitglied gefragt, was eine Parallelwährung ist.“ Manchmal, so scheint es, können selbst eingefleischte Euro-Kritiker ihrem Vormann Bernd Lucke noch nicht ganz folgen.

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