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Ministerpräsident Erwin Sellering, Altkanzler Gerhard Schröder und der russische Botschafter in Deutschland, Wladimir Grinin (v.l.n.r.), beim Russlandtag.

© dpa

Altkanzler beim Wirtschaftstreffen: Gerhard Schröder – der Russlandversteher

Ein Wirtschaftstreffen, mitten in einem der größten Konflikte zwischen Russland und der EU? Eine gute Idee, fand Ex-Kanzler Gerhard Schröder. Als Hauptredner mahnte er, den Dialog nicht aufzugeben. Er erklärte, analysierte und drohte. Nur über Putin sagte er kein einziges Wort.

Über Männerfreundschaft will Gerhard Schröder zu später Stunde im Kurhaus von Warnemünde jetzt ganz bestimmt nicht reden. Gerade hat er bei einem frisch gezapften Bier und gut gelaunt dem Rostocker Shanty-Chor gelauscht, der mit bärentiefen Stimmen „15 Mann auf des toten Manns Kiste und ’ne Buddel voll Rum“ intonierte. Und dann will ein Reporter vom Fernsehen wissen, wie es denn nun um die Männerfreundschaft zu Wladimir Putin, dem russischen Präsidenten, bestellt sei. Verächtlich spuckt Schröder ein einziges Wort heraus: „Schwätzer!“
70 ist Gerhard Schröder in diesem Jahr geworden, aber noch immer gehört Diplomatie nicht unbedingt zu seinen herausragenden Tugenden. Schon gar nicht, wenn ihm etwas nicht passt. In den vergangenen Wochen hat ihm vor allem die Kritik an dem von der Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern organisierten Russlandtag nicht gepasst, ein Wirtschaftstreffen, das auch mithilfe der Gazprom Germania und deren Tochter Nord Stream organisiert worden war. Aufsichtsratsvorsitzender der Nord Stream, deren Gaspipeline in Lubmin anlandet, ist der ehemalige Bundeskanzler.

Standfestigkeit ist Gerhard Schröders Maxime

Schröders Haltung hat sich auch in den Jahren nach dem Ende seiner Kanzlerschaft 2005 nicht geändert: Nur nicht wackeln bei den eigenen Überzeugungen! Diese Gradlinigkeit hat den Nachteil, dass sie ihm nicht immer positiv ausgelegt wird. Sondern oft als Arroganz und Sturheit. Standfestigkeit ist Gerhard Schröders Maxime. Deshalb wollte er auch nicht verstehen, dass eine öffentliche Umarmung seines Freundes Wladimir Putin nicht gut ankommen kann, wenn Russland gleichzeitig die Krim annektiert. Selbst zum 70. Geburtstag nicht. Schröder aber hat immer seine Beziehung zu Putin und zu Russland leidenschaftlich verteidigt, und so reiste er nun auch zu seinem Freund, Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering (SPD), um ihm beizustehen und zu verkünden, dass es keinen „besseren Zeitpunkt“ gebe, um den Dialog fortzusetzen.

Sellerings Kritiker wiederum fanden, man könne keinen Russlandtag abhalten, wenn die Europäische Union gleichzeitig versuche, Russland mit Sanktionen zu einer anderen Politik gegenüber der Ukraine zu bewegen. Schröder bedankte sich nach seiner Ankunft als Erstes für „deine Standhaftigkeit, lieber Erwin“.

Außergewöhnliche politische Konstellation

Natürlich geht es bei dem heiklen Thema Ukraine-Russland nicht um Gerhard Schröder und nicht um Erwin Sellering. Der Konflikt hat nach wie vor das Potenzial, die Beziehungen zwischen der EU und Russland dauerhaft zu zerstören. Und die Sorge, dass da etwas begonnen wurde, was nicht mehr zu kontrollieren sein könnte, ist auch in Warnemünde in den Gängen des legendären Hotels Neptun zu spüren, in dem sich zu DDR-Zeiten die Mitarbeiter der Staatssicherheit die Klinke in die Hand gegeben haben. Es ist also diese außergewöhnliche politische Konstellation, die diesen Russlandtag zu einer heiklen Mission für alle Beteiligten macht. Am späten Dienstagabend steht ein alter Bekannter Schröders nachdenklich in der Hotellobby und nippt an seinem Weißwein. Es ist der ehemalige Bundeswirtschaftsminister – und bis 2008 auch Sozialdemokrat – Wolfgang Clement. Der Mann ist ein geschulter Politiker und Lobbyist, und das Ost-Institut Wismar, für das er tätig ist, gehört zu den Multiplikatoren und Mitorganisatoren dieses Wirtschaftstreffens.

Seine Idee von Russland hat er schon vorab verbreitet: in der "Bild"

Aber Clement sagt ernst, dass sich selbst die sorgen, die einen Zugang zu Putin haben. Es gebe zwei Putins: Der eine, der offen für den Westen sei, ihn auch bewundere, und der Teil dieser Gemeinschaft sein wolle. Und dann gebe es noch eine Art Putin II, und dieser Putin, sagt Clement, sei womöglich nicht mehr zugänglich für westliche Argumente. Weil er Machtpolitik betreibe. Gerhard Schröder wiederum sagt in Rostock-Warnemünde öffentlich kein einziges Wort über seinen Freund Wladimir Putin. Der Altkanzler nennt sich mittlerweile selbst einen „Russlandversteher“. Und so hat er, bevor er am Mittwoch gegen 10.30 Uhr das Mikrofon im überfüllten Bernstein-Saal im Hotel Neptun ergreift, so wie zu seinen besten Kanzlerzeiten, bereits über die „Bild“-Zeitung sein Russlandbild verbreiten lassen. Nun wird er gleich seine persönlichen Essentials wiederholen: Dass er sich nicht schäme, sondern stolz darauf sei zu versuchen, die russische Politik und die russische Führung zu verstehen.

Die USA blieben ihm fremd

Woher genau Schröders tiefe Verbundenheit mit dem Land und zu Putin rührt, weiß niemand genau. Aber Schröder lässt keinen Zweifel daran, dass es so ist und dass ihm Russland emotional näher liegt als etwa die USA. Bei „Beckmann“ in der ARD sagte Schröder zu der Frage, warum ihm die USA fremd geblieben seien: „Ich kann es im Einzelnen nicht sagen. Ist so.“ In seinem Buch „Klare Worte“, das er im Februar vorstellte, ist seine harsche Kritik an der Politik der Europäischen Union – Deutschland schließt er darin ein – hinterlegt. Diese Politik leiste einer „anti-russischen Haltung Vorschub“. 400 Vertreter aus der deutsch-russischen Wirtschaft warten am Mittwochmorgen gespannt darauf, was Schröder zu sagen hat. Doch sie müssen sich gedulden, denn zuvor hält überraschend der russische Botschafter in Deutschland, Wladimir M. Grinin, eine Rede. Die ist allein deshalb bemerkenswert, weil sie gespickt ist mit indirekten Drohungen an den Westen.

Er rechnet vor, wie der Warenumsatz auch für deutsche Firmen eingebrochen sei, bald könnten es „minus 25 Prozent“ sein. Die Sanktionen hätten zu einer „Erosion des Vertrauens“ geführt. Er stellt in Aussicht, dass sich Russland auch anderen Märkten widmen könnte. Schließlich lässt er keinen Zweifel daran, dass „Russland die Kraft und Mittel“ habe, um die Sanktionen „zu neutralisieren“. Man habe dafür genug Währungsreserven, und die Verschuldung sei auch gering. Am Ende sagt der Botschafter: „Die Situation ist überbewertet durch Emotionen.“ Europa werde sich Russland wieder annähern.

Harte Worte

Die Worte des Diplomaten klingen hart, kühl und durch und durch selbstbewusst, ja machtpolitisch orientiert. Es wäre ganz bestimmt sehr spannend, nun eine Art Gegenrede zu hören, eine, die vielleicht Verständnis für die Seite Russlands aufbringt, gleichzeitig aber auch die Interessen Europas verdeutlicht. Aber eine solche Rede darf man jetzt nicht von Gerhard Schröder erwarten, denn bei allem, was er in der Vergangenheit über Europa und Russland gesagt hat, ist er nicht der ideale Vertreter des neutralen Standpunkts. Im Gegenteil, er ist hier eingeladen worden, weil er die russischen Interessen am besten vertreten kann. Wie die „Süddeutsche Zeitung“ vor einigen Monaten schrieb: Schröder könne kein Elder Statesman sein, weil er schon Cheflobbyist ist. Und dieser Cheflobbyist sagt seine Hauptbotschaft allen, die sie hören wollen: „Die Sanktionen sind falsch.“

Damals, im Bundestag, erhielt Putin noch Standing Ovations

Schröder redet ohne große Gestik, nie zu laut. Und er redet nicht über Putin. Er redet über den Dialog, den „man nicht aufgeben darf, auch wenn man anderer Meinung ist“. Er versucht ein paar historische Analogien, um beispielsweise Verständnis zu äußern für die Ängste der Polen. Dann aber kommt er schnell zu denen der Russen und sagt: „Seit Napoleon fühlt sich Russland vom geografischen Westen bedroht.“ Diese Erfahrungen wirkten bis heute nach, deshalb dürfe man nicht mit erhobenem Zeigefinger mit Russland reden und den Russen schon gar nicht einen „falschen Wertekanon“ vorwerfen. Wie schon in seinem Buch, kommen die USA auch in dieser Rede nicht gut weg. Schröder redet, als ob er wieder Wahlkampf machen würde mit seinem klaren Nein gegen amerikanische Politik. Wörtlich sagt Schröder: „Die USA sehen sich als pazifische, nicht als pazifistische Nation.“ Amerika würde sich von Europa ab- und anderen Märkten zuwenden, und deshalb müsse man wissen, dass auch Russland Alternativen habe zu Europa.

Russland isolieren? Eine Illusion

Zwar sind die Worte verschieden, aber an dieser Stelle ähnelt Schröders Rhetorik der des russischen Botschafters. Schröder betont, es sei eine Illusion zu glauben, man könne Russland isolieren. Und dann ist der Sozialdemokrat, der von 1998 bis 2005 das Land regierte, wieder bei den Sanktionen angelangt und bei seiner eigenen Art, darüber zu urteilen. Er habe bedauert, dass trotz des Friedensplans von Minsk die Sanktionen verlängert worden seien. „Mein Rat wäre ein anderer gewesen!“ Und wieder klingt der alte „Basta“-Kanzler durch. Dabei entspricht die Botschaft der Gesamtrede durchaus den Überzeugungen von vielen erfahrenen Außenpolitikern und längst anerkannten Elder Statesmen. Hans-Dietrich Genscher beispielsweise hat gerade das Interesse an ihm wegen des historischen Auftritts in der Prager Botschaft vor 25 Jahren genutzt, um den aktiven Europa-Politikern heftig ins Gewissen zu reden. Am Dienstagabend, als Schröder bei Kürbissuppe und Rind in Holundersoße im Hotel Neptun mit den russischen Gästen speist, erinnert Genscher in den ARD-Tagesthemen an Putins historischen Auftritt im Bundestag im September 2001. Es gab Standing Ovations am Ende, schon damals hatte Putin von einer Freihandelszone der EU mit Russland gesprochen. Genscher kritisiert, dass die EU ein „einseitiges Assoziierungsabkommen“ mit der Ukraine abgeschlossen und Russland damit das Gefühl gegeben habe, es sei außen vor.

"Säbelrasseln wie im Kalten Krieg"

Schröder sagt es anders, es klingt bei ihm aggressiver – und er begründet die Kritik rein ökonomisch: Eine Freihandelszone von Lissabon bis Wladiwostok, von der auch Botschafter Grinin als Putins Vision gesprochen hatte, sei die einzige Möglichkeit, um im globalen Wettbewerb gegen die USA und China zu bestehen.

Dann kommt Schröder noch einmal auf die „Russlandversteher“ zu sprechen und findet, dass sie in der Öffentlichkeit und vom "medialen Mainstream diskreditiert" werden, obwohl „wir differenzieren“. Erwin Sellering, auch ein Russlandversteher nach eigener Überzeugung, hatte zuvor davor gewarnt, man dürfe nicht „Säbelrasseln wie im Kalten Krieg“, aber er hatte damit nicht Russland gemeint. Vielleicht ist das Problem am Russlandversteher Gerhard Schröder, dass er glaubt, er habe einen Alleinvertretungsanspruch – auf den richtigen Dialog zum richtigen Zeitpunkt.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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