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Politik: Am Anfang war Britenrabatz Von Lorenz Maroldt

Britenrabatt – that makes no sense, nicht als Wort und nicht als Tat. Rabatt bekommt, wer viel und regelmäßig kauft.

Britenrabatt – that makes no sense, nicht als Wort und nicht als Tat. Rabatt bekommt, wer viel und regelmäßig kauft. Die Briten aber bekommen einen großen Teil des Geldes zurück, das sie in die Kassen der Europäischen Union einzahlen, nur weil Maggie Thatcher 1984 beim EUGipfel in Fontainebleau ihre Handtasche auf den Tisch knallte und rief: „I want my money back!“ Welch grandioses Missverständnis der Europäischen Idee. Aber seitdem gibt es eben den Britenrabatt, eine Art eurokratischer Geldwäsche, ganz unabhängig davon, wie gut oder schlecht es dem Empire geht.

Der EU-Gipfel von Brüssel ist vor allem an Thatchers würdigem Erben Tony Blair gescheitert. Aber Blair ist nur ein Teil des Problems und des Scheiterns. Es wirkt zwar unglaubwürdig, an den eigenen Privilegien verbissen festzuhalten, ansonsten aber eine radikale Änderung der europäischen Ausgabenpolitik zu fordern. Doch falsch wird diese Forderung deswegen ja nicht. Die hohen Agrarsubventionen, von denen die Franzosen so schlaraffenlandig profitieren, sind mehr als fragwürdig, und das ist es nicht allein. Von der Verwendung zur Verschwendung ist es in den Mitgliedsländern oft nur ein Blatt im Subventionsbericht. Da gibt es Geld für Projekte, die nur deshalb gegründet werden, weil irgendein Brüsselokrat mit seinen Visionen nicht etwa zum Arzt, sondern ins Parlament oder in die Kommission marschiert ist. Im Wust geht vieles verloren, wird manches vergessen. Warum, zum Beispiel, wurde Thatchers Money-back-victory nicht konditioniert?

Stur sein, das können nicht nur die Briten, und das Angebot der Polen, auf viel Geld zu verzichten, wenn sich die großen Länder doch bitte, bitte einigen möchten, war eher eine symbolische, denn eine großzügige Geste. Aber eine mit historischer Wucht. Schämen muss sich der gescheiterte Verhandler Jean-Claude Juncker nicht wegen der finanziellen Dimension der Veranstaltung. Peinlich, und zwar für Ratspräsident Juncker ebenso wie für Schröder, Blair, Chirac, Balkenende und so weiter, peinlich war ein einziger Satz von Polens Premier Belka: „Um was geht es? Nur ums Geld?“

Nein, es ging nicht nur ums Geld. Blair hat sich ganz mutig angelegt mit einer „lame duck“ aus Deutschland und einer aus Frankreich, weil deren Partnerschaft ihm suspekt ist und er deren Missgunst als Kriegsherr im Irak zu spüren bekam. Britenrabatz, gewissermaßen, aus Trotz und einer Position der gegenwärtigen Stärke heraus. Die Weigerung, einen weiteren hart erkämpften Kompromiss zu schließen wie schon so oft in der Geschichte der Europäischen Union, verrät aber auch, wie ziellos, ratlos und müde sich die politischen Köpfe vor allem der alten Mitgliedsländer in ihr home, sweet home zurücksehnen. Erst haben sie ihre Bürger nicht überzeugt. Jetzt zweifeln auch sie für alle erkennbar an ihrem eigenen Reden.

Das allerdings ist gefährlich, weit über den Finanzwirrwarr hinaus. Praktisch veranlagte, und das heißt meistens: wirtschaftlich geprägte Europäer haben oft die Geschichtsversessenheit der Unionsgründer und ihrer Geistesnachfolger wie Helmut Kohl belächelt, aber die Vorzüge der Gemeinschaft durchaus zu schätzen und zu nutzen gewusst. Erschreckend dagegen ist die Geschichtsvergessenheit, mit der heute europäische Politik verunstaltet wird. Das „Haus Europa“ sollte den Frieden und die Freiheit sichern, endlich, doch davon spricht kaum einer mehr. Jetzt wird das Haus, obschon ziemlich ausgebaut, als Casino missbraucht, ganz so, als wären Frieden und Freiheit selbstverständlich. Da wundert sich nicht nur Polens Premier.

Paris, Rom, Maastricht, Nizza – epochale Schritte verbinden sich mit diesen Städten. Und mit Brüssel, Brüssel im Juni 2005? Ein Bruch, ein Scheitern, die Offenbarung einer Illusion. Eine Wende? Im Scheitern steckt auch eine Chance. Europa hat sich zu einem Monstrum entwickelt, das seinen Erfindern über den Kopf gewachsen ist. Noch können sie es einfangen, ihm eine Diät verpassen, es zum Sympathieträger aufbauen. Aber nur gemeinsam. – Im Juli übernimmt Blair die Ratspräsidentschaft, ausgerechnet. Den Rabatt hat er noch. Kredit muss er sich erst erwerben.

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