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Politik: Am Ende der Gewissheiten

AMERIKA, IRAK UND WIR

Von Christoph von Marschall

Ist dies nun die Woche, in der George W. Bushs IrakAbenteuer endgültig zum Desaster wird? Seit Beginn des Fastenmonats Ramadan vergeht kein Tag ohne Anschläge, die gravierende Sicherheitsprobleme offen legen. Gestern zogen die Vereinten Nationen ihre Mitarbeiter aus Bagdad ab, auch viele Hilfsorganisationen packen nach der blutigen Attacke auf das Rot-Kreuz-Gebäude ihre Koffer. Und die Türkei zögert auf einmal, die versprochenen Hilfstruppen zu schicken.

Die Lage ist zum Verzweifeln – auch und gerade für alle, die schon lange an Amerikas Irak-Politik zweifeln. Das ist die Analyse: Die USA begehen katastrophale Fehler, weil sie von den Eigenheiten der Region zu wenig verstehen, schlecht vorbereitet waren und zu langsam dazulernen; sie machen sich die Iraker zu Feinden, statt sie durch Erfolge bei Befriedung und Wiederaufbau zu gewinnen. Die Lehre daraus müsste lauten: weniger Amerika, mehr UN, mehr zivile Hilfsorganisationen, mehr islamische Friedenstruppen, die sich kulturell besser auf den Umgang mit der muslimischen Zivilbevölkerung einstellen können. Und, nicht zuletzt, mehr Iraker – in der Übergangsregierung und -verwaltung, bei Polizei und Armee.

Doch nun passiert das Gegenteil: keine UN, weniger humanitäre Helfer, kaum islamische Koalitionstruppen. Weil die Amerikaner die Sicherheitslage nicht in den Griff bekommen. Auch irakische Persönlichkeiten zögern, mit den Besatzern zusammenzuarbeiten, wenn sie so sehr um ihr Leben fürchten müssen. Führt diese Entwicklung nicht unweigerlich in die Katastrophe: Die Amerikaner ziehen irgendwann erfolglos ab, der Irak wird zum Tummelplatz für fundamentalistische und terroristische Gruppen?

Ja, so kann es kommen, aber unausweichlich ist das nicht. Vermeiden lässt sich die blutige Kapitulation vor der irakischen Herausforderung allerdings nur, wenn alle Beteiligten die Bereitschaft aufbringen, sicher geglaubte Gewissheiten zu überprüfen. Zuerst und vor allem muss Amerika sich die Grenzen seiner Macht eingestehen, nicht nur der militärischen. Sondern die Grenzen seiner Kompetenz, die richtigen Lösungsansätze für andere Kulturkreise zu finden. Doch die Europäer sollten sich ebenfalls fragen, ob sie so viel bessere Antworten haben. Gewiss, nach dem Zusammenbruch des Ostblocks haben die im Westen erprobten Mechanismen für Konfliktbereinigung, Wiederaufbau und Demokratisierung dazu beigetragen, dass die Implosion des Sowjetimperiums weitgehend friedlich verlief. Auch auf dem Balkan macht die Befriedung Fortschritte – obwohl das Zusammenspiel von Nato-Soldaten, UN- und EU-Verwaltungshilfe und neutralen zivilen Aufbauhelfern nicht immer reibungslos klappt. Nach den ersten Erfahrungen mit der Nachkriegslage in Afghanistan und im Irak ist es jedoch zweifelhaft, dass die in Europa erprobten Rezepte sich auf islamische Nachkriegsstaaten übertragen lassen.

Das fängt mit einer ehrlichen Beschreibung der Wirklichkeit an. Die Amerikaner, so hört und liest man überall, können ja nicht einmal die Sicherheit der UN oder des Roten Kreuzes garantieren. Die Wahrheit ist: Sie durften die Gebäude in Bagdad nicht bewachen. UN und Rotes Kreuz haben das ausdrücklich abgelehnt. Wie fast alle zivilen Helfer legen sie größten Wert auf Distanz zu den Konfliktparteien. Auch auf dem Balkan kam es zwar wiederholt zu Übergriffen auf UN und Rotes Kreuz, aber im Prinzip wurde ihre Neutralität doch akzeptiert. Im Irak dagegen haben die Attentäter sie zu Feinden erklärt. Jetzt stehen die Neutralen vor einer schweren Wahl: endgültig abziehen und die Iraker, die auf Hilfe angewiesen sind, ihrem Schicksal überlassen – oder sich ausnahmsweise von Koalitionstruppen schützen lassen, um weiter helfen zu können. Es ist auch nicht so, dass der gesamte Irak ins Chaos driftet. Die Anschläge betreffen zum Großteil das sunnitische Dreieck um Bagdad und Tikrit. Im Kurdengebiet und bei den Schiiten im Süden ist es weitgehend ruhig.

Kritik an Amerika ist nötig und berechtigt. Aber sie führt nur weiter, wenn daraus ein besseres Konzept entsteht. Eines, das bewährte Wahrheiten überprüft und pragmatisch an die irakische Wirklichkeit anpasst. Am Ende brauchen Amerikaner, Europäer und Iraker dasselbe: Erfolg bei Befriedung und Wiederaufbau. Nur Attentäter wollen das nicht.

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