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Politik: Am Ende die Welt

Von Caroline Fetscher

Wenn Schlagzeilen Klänge hervorrufen könnten, dann würden wir jetzt an jedem Kiosk ein gewaltiges Gewitter dröhnender Pauken und Trompeten hören. Dazu einen brausenden Chor: Weltuntergang! Klimakatastrophe! Die Vereinten Nationen, für die meisten von uns Zeitgenossen die höchste Autorität der Menschheit, geben unserem uralten, blauen Planeten nur 13 kurze Jahre, um ein Desaster der Atmosphäre zu verhindern. Bis dahin, so sagen die meteorologischen UN-Experten, müssen wir Industriewesen das Ausstoßen von Kohlendioxid und anderen klimaschädlichen Gasen „substanziell reduzieren“. Sonst? Droht allen die Apokalypse. Abschmelzen wird das Packeis an den Polen, übersäuert werden die Ozeane, überflutet die Inseln und Küsten. Die Welt wird kopfstehen – und untergehen.

Propheten wie Scharlatane, Philosophen wie Kleriker handeln seit je gerne mit Endzeitmaterial. Meist repräsentiert das eine ins Allgemeine gewendete Angst vor dem individuellen Tod, der dann eben nicht Erlösung, ewiges Leben und Ruhe bedeuten würde, sondern Schuld und Verdammnis. So entstand einst das Konzept vom Schmoren in der Hölle, beim Vatikan noch immer im metaphysischen Angebot. Als Alternative zur Dystopie lockt uns die Utopie, ein messianisches Telos – griechisch für Ziel –, das Seligkeit heißt, die Erfüllung aller Bedürfnisse, der Himmel. Aus eben diesem Himmel der Harmonie drohen wir uns selbst zu katapultieren, indem wir den Himmel, die Atmosphäre, beschmutzen und verschmutzen.

Apokalypse stand ursprünglich für beides, eine Vision vom Weltende oder auch die einer neuen, verwandelten Welt, wobei das Verb „apokalyptein“ so viel heißt wie „aufdecken“. Enthüllt wird mithin durch apokalyptische Weissagungen, was vorher verborgen war. Heutzutage muss nahezu jeder, der radikale Reformen anstrebt, Fragmente dieser kollektiven Erinnerungen heraufbeschwören, um überhaupt gehört zu werden.

In den achtziger Jahren, auf dem Höhepunkt des Öko-Aktivismus, forderte Greenpeace bleifreies Benzin für alle Autos. Die Umweltschutzorganisation malte der Öffentlichkeit eine verpestete Welt an den Horizont der Zukunft: An den Abgasen von Millionen Kleinwagen würde die Menschheit nachgerade ersticken. Von der Autoindustrie kam eine ebenso apokalyptische Antwort. Würden die Umweltanwälte gewinnen, wäre die Industrie ruiniert, ein gesamtwirtschaftlicher Kolbenfresser wäre das Resultat. Fabriken müssten schließen, Motoren stünden still, Millionen würden arbeitslos: das Ende.

Eine Endzeitvision konkurrierte mit der anderen, beide voll ultimativen Zornes. Die Ökologen ließen nicht locker, verzweifelt glaubten sie an ihre Botschaft, und die Bevölkerung stimmte in das Alarmrufen ein. Und siehe da, wenige Monate später kamen Automodelle mit Katalysator auf den Markt und rollten bleifrei von Bamberg nach Biberach oder von Tokio nach Kyoto. In Deutschland, das tatsächlich einen Weltuntergang verursacht hatte – nicht den der Menschheit, sondern den der Menschlichkeit –, war man für grüne Schützer und Warner besonders empfänglich. Hier wurde die grüne Idee so mächtig wie nirgends sonst.

Die Ökos hatten übertrieben, die anderen auch. Doch Erstere hatten recht, denn es ist gesund, bessere Luft zu atmen. Es wäre angenehm, wenn Autos in Zukunft mit Wasserstoff fahren würden und es statt Atomgefahren Sonnen- und Windkraft gäbe. Die Welt geht wahrscheinlich nicht sofort unter, wenn Kraftwerke unsere Luft verpesten. Aber sie sieht schöner aus, sie fühlt sich besser an, sie wird glücklicher, wenn die Luft klarer ist und wir Erdenbewohner achtsamer sind, mit uns und unserem Drumherum. Politiker und Leser der Boulevardpresse, also die Entscheider und ihre größte Wählermenge, reagieren jedoch eher auf laute Signale, je archaischer, desto besser. Das haben inzwischen auch die Vereinten Nationen von den Bürgerbewegungen gelernt. Noch ein paar Schlagzeilenschübe Weltuntergang, und wir sind wieder einen Schritt weiter auf dem Weg zu einer erträglicheren Lage. So geht das Ganze.

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