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Politik: Am politischen Feudalsystem scheiterte schon die italienische Democrazia Cristiana (Kommentar)

Das passt nicht zusammen: Kohl, der beflissene "Diener" seiner Partei - so Kohl selbst. Und Kohl, der "Patriarch", der Erzvater mit umfassenden Herrschaftsrechten, so Schäuble.

Das passt nicht zusammen: Kohl, der beflissene "Diener" seiner Partei - so Kohl selbst. Und Kohl, der "Patriarch", der Erzvater mit umfassenden Herrschaftsrechten, so Schäuble. Und doch reden beide vom selben Phänomen: vom Feudalsystem Kohl. Kohl, der Diener, will alle Schuld und Verantwortung auf seine Schultern laden. Und die Partei lässt es gerne geschehen, weil es sie und ihr Führungspersonal aus der Schusslinie nimmt. Es ist deshalb eine existenzielle Frage für die CDU, ob der Feudalherr Kohl das finanzielle Schattenreich der Partei allein betrieb oder ob er nicht doch "Diener", Lehnsherren, Paladine hatte - also Mitwisser und potenziell Mitverantwortliche.

Die erste Republik Italiens ist an einem solchen politischen Feudalsystem zugrunde gegangen. Die Schwesterpartei der CDU, die Democrazia Cristiana (DC), begann als Täter und wurde ihr eigenes Opfer. Ihr weitverzweigtes System der schwarzen Kassen, der unüberprüfbaren Begünstigungen und des Klientelismus wucherte über die Parteigrenzen in den Staat hinein. Mitte der 90er Jahre musste sich die DC auflösen: Sie war moralisch desavouiert, politisch korrupt und finanziell ausgeblutet. Die DC stand damals in Italien für ein bestimmtes Herrschaftsritual, die Partitocrazia: die kaum noch entflechtbare Durchdringung von Staat und Partei. Geschah das auch bei der CDU?

Die Ordnung, die demokratische wie die durch Parteistatuten gegebene, verletzt sich selbst, hier wie dort. Die von Kohl eingestandene Missachtung der förmlichen Überprüfbarkeit seines Handelns zugunsten eines autarken Vertrauens (oder eben Misstrauens) ist die demokratische Grundsünde schlechthin: Regierende oder Parteifunktionäre halten sich nicht an die Gesetze, sondern an die eigenen Vorstellungen, was richtig ist - und was nicht. Durch sein Finanzreich, das politische Loyalitäten sichern sollte, hat Kohl einen Teil seiner Autorität als verschleierten Egoismus zu erkennen gegeben.

Die DC ist auch daran zugrunde gegangen, dass ihre Vertreter in Amt und Würden eine Art konventionelle Lüge lebten: Was als Gemeininteresse ausgegeben wurde, diente dem Machterhalt. Andreottis famoser Satz, die Macht verschleiße nur den, der sie nicht habe, ähnelt dem Kohlschen Machtprinzip, das ebenfalls auf einer zur Konvention gewordenen Lüge aufbaute: Die demokratisch verbürgte Unabhängigkeit, politisch zu handeln, funktioniere trotz bestehender Abhängigkeiten. Die CDU-Landesfürsten und ihre Schatzmeister sowie andere, noch schweigende Begünstigte Kohls werden sich bald von der Parteiführung fragen lassen müssen, welche Abhängigkeiten Kohl mit seinen versteckten Zuwendungen geschaffen hat.

Wie die Democrazia Italiana, so hat Kohl in seiner Partei zumindest in dieser Weise Käuflichkeit praktiziert. Nichts anderes bedeutet es, wenn unerkannte Millionensummen über geheime Konten in der Partei ein Eigenleben führen - angeblich an jeder Kontrolle vorbei. Offenkundig wurden hohe Beträge - zweistellige Millionensummen - regelmäßig und über die Jahre bewusst versteckt. Italiens DC ist an diesem klandestinen Mechanismus der Begünstigungen, die politisch wirken wollen, zugrunde gegangen. Das System flog auf, weil es überhand nahm.

Der eigentliche Begriff für dieses absichtlich verdeckte, Abhängigkeiten schaffende und vor allem systematische Verhältnis ist Korruption. Gewiss nicht immer im strafrechtlichen Sinne, aber im politischen: Die Ordnung verletzt sich selbst. In Italien hat dies das Verhältnis zwischen Herrschenden und Bürgern tiefgreifend zerrüttet. Das Gesetz hatte keine Bindekraft für die politischen Akteure mehr.

Ob nun auch die Chronik der CDU nach dem Mauerfall zur chronique scandaleuse wird, ist nicht davon abhängig, dass Spenden nachweisbar die Politik beeinflusst haben - gegen das Gemeininteresse. Kohl hat mit seinen schwarzen Kassen zumindest ein parteiinternes Brauchtum über alle Konventionen, Vorschriften und wahrscheinlich gar Gesetze hinweg gegründet, das nicht mehr unterscheiden kann, was des Staates, was der Partei, was des Parteimitglieds und was des Bürgers ist. Ob sie nun Kohl, Andreotti, Craxi oder Berlusconi heißen: Wer den Anspruch auf Überprüfbarkeit seines politischen Handelns missachtet, lässt eine vordemokratische Gesittung erkennen. Eben Feudalherrenart.

Rüdiger Scheidges

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