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Am Runden Tisch: Kein Frieden mit ehemaligen Heimkindern

Runder Tisch präsentiert Ergebnis. Auf einer „Gegenpressekonferenz“, protestieren Betroffene und nennen das Ergebnis des Gremiums eine „Unverschämtheit“.

Von Matthias Schlegel

Berlin - Drinnen, im Saal der Bundespressekonferenz, umarmt Hans-Siegfried Wiegand, Vertreter der Heimkinder am Runden Tisch, die Moderatorin Antje Vollmer und dankt ihr für ihre schwierige Arbeit. Draußen, im Foyer und später bei der „Gegenpressekonferenz“, protestieren Betroffene und nennen das Ergebnis des Gremiums eine „Unverschämtheit“.

Der Runde Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren hat am Montag seinen Abschlussbericht vorgelegt, doch er hat keinen Frieden geschaffen. Deshalb benennt Antje Vollmer, wie zur Rechtfertigung, noch einmal die schwierigen Rahmenbedingungen. Es sei ein „Präzedenzfall“ gewesen: „Der Rechtsstaat korrigiert sich selbst.“ Man habe sich immer im System bestehender Entschädigungen bewegen müssen. Und Retraumatisierungen seien bei diesem Thema unumgänglich, man dürfe aber nicht ein zweites und drittes Unrecht entstehen lassen. Sie spricht vom damaligen als einem „unreifen Rechtsstaat“, der gerade im Verhältnis zu Kindern und Jugendlichen „sehr unterentwickelt“ gewesen sei.

Wiegand, der als Vertreter, aber letztlich nicht im Namen der ehemaligen Heimkinder dem Kompromiss zugestimmt hat, gab selbst zu, dass das ursprüngliche Ziel – eine Rente für erlittene Schäden in Höhe von 300 Euro monatlich oder eine Einmalzahlung in Höhe von 58 000 Euro – nicht erreicht wurde. Er würdigt aber zugleich, was erreicht wurde: Wer Erwerbsarbeit in einem Heim geleistet hat, ohne dass Beiträge in die Rentenversicherung eingezahlt wurden, erhält eine Einmalzahlung in Höhe der entgangenen Renteneinkünfte. Dafür soll ein Rentenfonds von 20 Millionen Euro geschaffen werden. Wer Folgeschäden aus dem Heimaufenthalt erlitt, soll aus einem 100-Millionen-Euro-Fonds individuell therapiert oder in anderer geeigneter Weise, etwa durch Mietzuschuss oder Altershilfe, unterstützt werden. Reicht das Geld nicht – Experten rechnen mit 30 000 Betroffenen –, können die je zu einem Drittel von Bund, Ländern und Kirchen finanzierten Fonds erhöht werden. Wer sexuell missbraucht wurde, soll Leistungen aus den Regelungen des anderen, speziell dafür eingerichteten Runden Tisches erhalten.

Was Wiegand drinnen mit den Worten „besser den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach“ beschreibt, ist für die Protestler draußen ein unter Druck zustande gekommener fauler Kompromiss. Die frühere SPD-Politikerin Ingrid Matthäus-Meier, die als Moderatorin der Protestler deren Zorn zu kanalisieren versucht, kritisiert vor allem, dass die Opfervertreter keinen juristischen Beistand mit an den Runden Tisch bringen durften und dass das Gremium die Begriffe Zwangsarbeit und systematisches Unrecht vermied, weil die Bundesrepublik nicht als Unrechtsstaat dastehen sollte. Es habe aber in der Heimerziehung rechtsfreie Räume gegeben, die den Unrechtstatbestand erfüllt hätten. Für die Vorsitzende des Vereins ehemaliger Heimkinder, Monika Tschapek-Güntner, ist klar: „Ich werde für meine Entschädigung klagen. Wenn es sein muss, bis zum Europäischen Gerichtshof.“ Matthias Schlegel

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