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Politik: Amerika braucht unsere Hilfe

NACH DEM KRIEG

Von Malte Lehming

Der IrakKrieg ist vorbei. Ein Ende hat er nicht. Was mit Bomben begann, ebbte einfach ab. Keine Kapitulationsurkunde, kein Friedensvertrag. Noch rollen Panzer, es wird geschossen und geplündert, von Saddam Hussein fehlt jede Spur. Trotzdem wissen alle: Dieser Krieg ist vorbei. Amerika hat ihn gewonnen, die Diktatur in Bagdad wurde beseitigt. Wer will, kann weiter die Debatten von gestern führen, kann die Zerschlagung des Völkerrechts beklagen oder sich über die schlechte Trefferquote der Apokalyptiker belustigen. War dieser Krieg je richtig? Wurde er durch die Jubelbilder nachträglich legitimiert? Pazifisten wie Bellizisten fällt es schwer, der Versuchung zur Rechthaberei zu widerstehen. Zu stark waren Glaube und Ideologie an der Auseinandersetzung beteiligt, um die Vergangenheit jetzt ruhen zu lassen. Dabei hätte sie diese Ruhe bitter nötig. Der Blick zurück erhellt nichts, sondern lenkt bloß ab vom Wesentlichen.

An oberster Stelle steht der Wiederaufbau des Irak. Sollte in Bagdad erneut ein Tyrann an die Macht kommen, der den Ölreichtum des Landes für Eroberung und Unterdrückung missbraucht, sollten Bürgerkriege zwischen Kurden und Arabern auflodern oder Schiiten und Sunniten einander befehden, dann wird dieser Krieg zu einem Symbol amerikanischer Überheblichkeit. Klammheimlich mögen deshalb einige Friedensfreunde, ob aus dem Westen oder der arabischen Welt, ein Scheitern des Wiederaufbauprojekts herbeisehnen. Bestätigt werden deren düstere Ahnungen durch erste Bilder eines möglichen Misslingens – marodierende Banden, verwüstete Krankenhäuser, antiamerikanische Proteste. Das verleitet sie zu einer distanzierten Trotzpose: Seht her, was passiert, wir haben rechtzeitig gewarnt.

Emotional mag diese Haltung verständlich sein, politisch aber ist sie verantwortungslos. Sollte der Wiederaufbau des Irak scheitern, wird Europa nicht minder in Mitleidenschaft gezogen als Amerika. Zu den Folgen zählten ein Anstieg des militanten Islam und eine Zunahme des Terrorismus. Selbst Kriegsgegner müssen daher hoffen, aus Humanität und Eigeninteresse, dass es den Irakern in einigen Jahren besser geht als vor einigen Wochen. Wer sich angesichts der gigantischen Aufgabe in Schadenfreude ergötzt – sollen die Amis doch selbst sehen, wie sie klar kommen –, misst der Verachtung der Bush-Regierung einen höheren Wert bei als dem Wohle seines eigenen und dem des irakischen Volkes.

Wie kann der Wiederaufbau gelingen? Das Zauberwort heißt Fingerspitzengefühl. Einerseits ist eine massive Präsenz der US-Truppen nötig, um das Machtvakuum zu füllen, andererseits verstärkt dies den Okkupations-Eindruck in der arabischen Welt. Einerseits muss die neue Ordnung schnell und effektiv aufgebaut werden, andererseits sollen die Strukturen wachsen können. Und wie umfassend soll die De-Saddamisierung sein? Soll es Prozesse geben wie in Nürnberg nach dem Zweiten Weltkrieg, Wahrheitskommissionen wie in Südafrika oder einen Schlussstrich wie in Polen? Zu diesen Diskussionen können die Europäer viel beitragen. Sie wissen aus eigener Erfahrung, wie wichtig es ist, die nachrevolutionäre Anarchie in den Griff zu bekommen, damit die Sehnsucht nach einer neuen starken Hand nicht übermächtig wird. Sie wissen, dass die Hoffnungen befreiter Menschen schnell enttäuscht werden. Und sie wissen, wie rasch ein Oppositionsbündnis zerfällt, sobald es an die Macht kommt.

Wir wollten den Krieg nicht, aber wir wollen, dass der Wiederaufbau gelingt: Diese Botschaft muss Europa über den Atlantik senden. Damit wäre eine Brücke geschlagen. Der Weg zur Revitalisierung von EU, Nato und UN-Sicherheitsrat wäre geebnet. Die US-Regierung wiederum muss diesen Prozess fördern. Sie muss zugestehen, der Hilfe bedürftig zu sein. Wenn sie weiterhin ihr Image nährt, alle Probleme dieser Welt alleine schultern zu wollen, darf sie sich nicht wundern, wenn sie allein gelassen wird. Der Krieg ist vorbei. Er hat den Westen entzweit. Der gemeinsame Blick nach vorn bietet die Chance, im Kampf um den Frieden wieder zusammenzukommen. Dann fände dieser Krieg doch noch ein richtiges Ende.

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