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Politik: "Amerikas Welt": Amerika wird amerikanischer

Selten hat man die ersten Seiten eines Bandes über die USA mit so viel Genuss gelesen: Da stellt uns Claus Leggewie zu Beginn seines neuen Buches Jost, Gregor und Lara vor, drei (imaginäre) junge Deutsche und ihre Vorstellungen über Amerika - die er ironisch überzeichnet. Leggewie macht bald klar, dass er Laras realistische, nüchterne und kalkulierende Position favorisiert.

Selten hat man die ersten Seiten eines Bandes über die USA mit so viel Genuss gelesen: Da stellt uns Claus Leggewie zu Beginn seines neuen Buches Jost, Gregor und Lara vor, drei (imaginäre) junge Deutsche und ihre Vorstellungen über Amerika - die er ironisch überzeichnet. Leggewie macht bald klar, dass er Laras realistische, nüchterne und kalkulierende Position favorisiert. Sein letzter Abschnitt heißt denn auch "Laras Welt: Von der Notwendigkeit, ernst zu sein". Hier wie auch in den fünf Kapiteln des Buches überprüft und verteidigt der Politikwissenschaftler im Grunde die These von der Annäherung und Normalisierung nicht nur deutscher Vorstellungen über die USA, sondern auch in den transatlantischen Beziehungen - ein Aufruf zu mehr Gelassenheit.

Claus Leggewie kennt sich in der Politik und der Alltagskultur des Landes aus. Das ist erholsam, denkt man an deutsche Fernsehkorrespondenten, die durch Washington stolpern. Er scheut nicht davor zurück, Wissenschaft und Populäres in amerikanischer Essayform elegant miteinander zu verbinden und dabei recht vollständig die Liste aller in Deutschland gängigen Klischees, Vorstellungen und Positionen über die USA und amerikanische Werte, Modelle, Ideen, Ikonen, Mythen abzuhaken. Dabei geht Leggewie umsichtig vor, seziert detailliert vor allem die Vorbildfunktion der USA für Deutschland und pocht dabei auf europäische Selbstständigkeit. Den Rolf-Winter-Blues stimmt er - trotz teilweise harscher Kritik an den USA - allerdings nicht an. So ist der Text zwar nicht provokativ, stellenweise gedanklich etwas unscharf, bei historischen Darstellungen sogar meist ungenau - aber dennoch eine geglückte Bestandsaufnahme der deutsch-amerikanischen Beziehungen und Amerikas selbst.

Doch ist die Hauptthese stimmig? Die Idee der globalen Zivilgesellschaft, in der sich Gegensätze in transnationale Zugehörigkeiten und Identitäten glücklich auflösen, mag sich spätestens beim nächsten europäischen Bürgerkrieg als eine Chimäre erweisen. Wer jenseits des transatlantischen Jetsets, in Pforzheim oder Sioux City lebt, wird schnell bemerken, dass die Menschen leider nicht in soziologische Schablonen passen wollen. Dort und anderswo ist der Nationalismus äußerst lebendig, die "mental maps" von Deutschen und Amerikanern völlig konträr.

Ganz im Gegensatz zur Versachlichung der transatlantischen Vorstellungen voneinander ist doch eine zunehmende Entfremdung zwischen den USA und Europa zu beobachten - und zwar auf beiden Seiten. Das fängt bei der Hinrichtung von geistig Behinderten in Texas an, geht über Wahlzeit und hört bei Rindfleisch- und Bananenquoten auf. Die USA werden amerikanischer; nicht nur in der politischen Elite (vor allem bei einem Präsidenten Bush), sondern auch im öffentlichen Bewusstsein begreift sich Amerika immer stärker als pazifische Großmacht, schließlich prophezeit die Demographie für die USA, dass das multikulturelle Amerika immer uneuropäischer wird, dafür aber lateinamerikanischer und asiatischer: Für das europäische Establishment dürfte der erste asiatische US-Außenminister, der die Welt vom Pacific Rim aus wahrnimmt, ein kleiner Schock sein, der uns einen Eurozentrismus vor Augen führt, den man im globalen Dorf im günstigsten Fall als rührend empfindet.

Gleichzeitig werden die USA möglicherweise (wenn der US-Wirtschaftsboom mit einem Crash enden sollte), auch isolationistischer. Diese Parallelität benennt Leggewie als "Gleichzeitigkeit von Angriff und Rückzug" selbst und beleuchtet sie in vier (Intermezzi genannten) Exkursen über den globalen Siegeszug des Englischen, Freiberufler (die "Yetties"), sowie das deutsche Déja-Vu amerikanischer Ikonen und die Paradoxien von US-Intervention.

Doch wer wie Leggewie die Europäer zu mehr Macht- und Selbstbewusstsein aufruft, gleichzeitig aber auf Grund der Globalisierung eine wachsende Gemeinsamkeit zwischen den USA und Europa konstatiert, vergisst das Grundaxiom amerikanischen Selbstverständnisses: Der globale "Kasinokapitalismus" des größten Bruders USA beispielsweise erklärt sich aus dem Selbstverständnis einer siegreichen Weltmacht, die sich überdies durch ein historisch begründetes Missionsbewusstsein definiert. Palm Beach County mag nicht gerade die City upon the Hill sein - das hält aber kaum einen Amerikaner davon ab, eben genau dieses Ideal außerhalb der eigenen Grenzen zu suchen.

Was hat Europa dem entgegenzusetzen? Selbstbewusstsein erwächst nicht durch kongruente wirtschaftliche Interessen, sondern, wie Leggewie treffend darlegt, erst durch eine gemeinsame Identität, einen Verfassungspatriotismus und - möchte man hinzufügen - einen Gründungsmythos à la Américaine. Die Montanunion war eben keine Unabhängigkeitserklärung. Solange aber der europäischen Multikulturalismus keine global wirkende, politische Idee mit Anziehungskraft entwickelt, wird Amerika Vorbild bleiben.

Jürgen Scheunemann

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