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Aktivisten von Amnesty am Mittwoch in Berlin.

© dpa

Amnesty International: Auf beiden Augen blind

Amnesty International protestiert in Berlin mit Augenbinden gegen Folter weltweit. Prominente unterstützen die Kampagne

Benno Fürmann sitzt blind im Regen. Eine Augenbinde verdeckt ihm die Sicht, ausgeliefert will er sich fühlen – so wie jene Menschen auf der ganzen Welt, die Tag für Tag eingesperrt sind. "Folter findet alltäglich statt", sagt der Schauspieler. "Und das einzig Wirksame, was wir tun können, ist nicht wegzuschauen."

Dafür protestiert er am Mittwochmorgen mit zwei Dutzend anderen Unterstützern von Amnesty International im Berliner Stadtteil Mitte, an der Liebknechtbrücke. Sie binden sich Augenbinden um, auf denen "Schau nicht weg: Stop Folter!" steht. Anlass ist der internationale Tag zur Unterstützung der Folteropfer am 26. Juni. Der Tag erinnert an die Antifolterkonvention der Vereinten Nationen von 1984, die am 26. Juni 1987 in Kraft trat. Die Konvention ergänzt die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 und die Genfer Konventionen von 1949, indem sie "Folter" genau definiert und Maßnahmen zu ihrer Verhinderung, Verfolgung und Bestrafung regelt.

"In mindestens 79 Ländern wird auch 2014 noch gefoltert"

Unter Folter verstehen die Vereinten Nationen jede Handlung, durch die einer Person absichtlich körperliche oder seelische Schmerzen oder Leid zugefügt werden – zumeist durch staatliche Organe wie die Polizei. "In mindestens 79 Ländern wird auch 2014 noch gefoltert", berichtet Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland. In vielen Fällen foltern staatliche Organe Gefangene, um Aussagen oder ein Geständnis zu erpressen. Die Menschenrechtsorganisation fordert aus diesem Grund von Regierungen weltweit, den Schutz vor Folter konsequenter umzusetzen – sei es durch Zugang zu Anwälten und medizinischem Personal oder der Überprüfung der Hafteinrichtungen.

Gemeinsam mit Çalışkan bindet Fürmann deswegen auch Wilfried Fitzenreiters Skulptur "Drei Mädchen und ein Knabe" die Augen zu. "Statuen sind öffentliche Symbole mitten in der Stadt. Jeder kann sie wahrnehmen", erklärt Maria Scharlau, Rechtsreferentin von Amnesty International, den Akt. "Genauso soll auch jeder den alltäglichen Skandal der Folter wahrnehmen und zum Kampf dagegen beitragen."

 In Syrien sind sie machtlos

Solche Aktionen fanden am Mittwoch weltweit statt. Aktivisten verbanden Statuen in Argentinien, Marokko, Island, Portugal, der Schweiz und Irland die Augen. Zur Unterstützung der Kampagne knipsten auch deutsche Prominente wie Fernsehmoderatorin Nazan Eckes und der Musiker Henning Wehland "Selfie-Fotos" von sich mit der Amnesty-Augenbinde. In Berlin statteten sogar zahlreiche Modeläden ihre Schaufensterpuppen mit der Augenbinde aus, vor allem in Kreuzberg-Friedrichshain, Mitte und Prenzlauer Berg.

Beispiele von massiver Polizeigewalt, Misshandlungen durch Sicherheitskräfte, zumeist ohne strafrechtliche Konsequenzen für die Täter, dokumentiert die NGO vor allem in den Schwerpunktländern Mexiko, Marokko und Westsahara, Nigeria, Usbekistan und den Philippinen. Doch warum soll sich die Öffentlichkeit speziell mit Menschenrechten in Mexiko und Marokko befassen, während in Syrien und Irak Tausende Menschen sterben oder vor Krieg fliehen? "Syrien ist eine einzige Katastrophe", sagt Scharlau. "Aber so traurig es klingt: Im Moment können wir da auch am wenigsten ausrichten." Mexiko dagegen sei international gut eingebunden. Schließlich sei Folter ein Phänomen, "das nicht nur in Schurkenstaaten vorherrscht."

Deutsche Präventionsstellen brauchen mehr Geld 

Das würden hoffentlich auch die Justizminister der Bundesländer einsehen. Noch bis Donnerstag tagen diese in Binz. "Sie müssen endlich eine ausreichende Finanzierung der Nationalen Stelle zur Verhütung von Folter beschließen", fordert Çalışkan – der Stelle, die unter anderem Hafteinrichtungen kontrolliert, um Folter und Misshandlungen zu verhindern. Der Ausbau der Finanzierung dieser deutschen Folter-Präventionsstelle steht dort zumindest auf der Tagesordnung. "Deutschland muss von anderen Regierungen einen konsequenten Kampf gegen Folter verlangen, aber auch selbst mit gutem Beispiel vorangehen", fordert die Generalsekretärin.

"Die Bundesregierung muss von seinen Partnerländern konkrete Maßnahmen gegen Folter fordern, zum Beispiel unabhängige, unangemeldete Kontrollen in Polizeistationen und Gefängnissen", sagt Fürmann. Andernfalls bliebe das Bekenntnis zum internationalen Folterverbot nur eine leere Floskel. Ein Thema sollte Amnesty seiner Meinung nach aber noch deutlich stärker in den Vordergrund rücken: "Flüchtlingsschutz machen wir viel zu wenig", merkt Fürmann enttäuscht an. "Darüber müssen wir uns mehr unterhalten – und zwar konkret über den Schutz von Flüchtlingen und nicht vor ihnen."

Igor Mitchnik

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