zum Hauptinhalt

Politik: An den Grenzen der Wahrheit

Richter sprechen den vermeintlichen Terroristenhelfer Mzoudi frei – und machen der Anklage schwere Vorwürfe

Von Frank Jansen

Er sitzt da, blass und regungslos, als sei die Ermahnung des Richters zu ahnen gewesen. „Herr Mzoudi, Sie sind freigesprochen“, sagt Klaus Rühle und fixiert den kleinen, pummeligen Mann mit dem schwarzen Vollbart. „Das mag für Sie Anlass zur Erleichterung sein, ein Grund zum Jubeln ist es nicht.“ Doch nicht nur Abdelghani Mzoudi bleibt still – auch die Beteiligten und Zuschauer im Saal 237 des Hamburger Oberlandesgerichts wirken am Ende dieses schwierigen, bisweilen chaotischen Prozesses ruhig, gefasst, vielleicht sogar erschöpft. Denn der Vorsitzende Richter des 3. Strafsenats beschreibt in der Urteilsbegründung ein Dilemma: Es spreche einiges dafür, dass Mzoudi die Vorbereitung der Anschläge des 11. September 2001 nicht verborgen geblieben sei. Doch der Senat sei „an die Grenze der Wahrheitsfindung gestoßen“. Da bleibe nichts übrig als der Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“.

Was genau dafür sprechen könnte, dass der schweigsame Marokkaner in Hamburg die Terrorzelle um Mohammed Atta unterstützt hat, sagt Rühle am Donnerstag allerdings nicht. Stattdessen demontiert er die Anklage mit einer Härte, die fast schon verbittert wirkt – da seien zum Beispiel Indizien regelrecht „zusammengebrochen“. Rühle versucht auch, Irrtümer des Senats zu kaschieren. So stellt der Richter den Auftritt von Heinz Fromm, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, als Wendepunkt des Prozesses dar. „Der Zeuge Fromm machte eine Aussage, die dem bisherigen Erkenntnisergebnis zuwiderlief“, sagt der Richter. Fromm berichtete im Oktober, die Anschläge des 11. September 2001 seien weder im Frühsommer 1999 noch in Hamburg geplant worden, wie es in der Anklage der Bundesanwaltschaft heißt, sondern Ende des Jahres und in Afghanistan. Rühle verschweigt, dass der Senat eine Woche nach Fromms Aussage noch verkündet hatte, Mzoudi sei weiterhin „hochwahrscheinlich“ schuldig. Erst anderthalb Monate später kam der Angeklagte frei.

Rühle präsentiert eine Prozesshistorie, die mehr über die Empfindlichkeit des Senats aussagt als über die Chronologie des Verfahrens. Denn dem Senat wurde offenbar erst Ende 2003 klar, dass Fromm Informationen preisgegeben hatte, die den Sicherheitsbehörden schon länger bekannt waren – von denen das Gericht aber nichts wusste. Wie tief der Ärger sitzt, verdeutlicht Rühle in „grundsätzlichen Fragen“ an die Bundesanwaltschaft: „Können wir uns in Zukunft darauf verlassen, dass in Terrorismus-Verfahren auch entlastendes Material vorgelegt wird? Und wer bestimmt eigentlich, was aus Ermittlungsakten herausgenommen wird – oder warum überhaupt etwas herausgenommen wird?"

Nur einmal erwähnt Rühle den offensichtlichen Wendepunkt des Prozesses. Im Dezember schickte das Bundeskriminalamt dem Senat ein Fax, in dem eine anonyme Auskunftsperson die maßgeblichen Mitglieder der Hamburger Terrorzelle nennt – Mzoudi ist nicht dabei. Da entließ das Gericht den Marokkaner aus der U-Haft. Doch Rühle geht auf diese spektakuläre Entscheidung kaum ein. Ist es ihm unangenehm, dass er Mzoudi nicht schon nach Fromms Auftritt auf freien Fuß gesetzt hat? Es fällt auch auf, dass der Richter andere zentrale Fragen nur streift. Der Senat habe sich vergeblich bemüht, an Aussagen der von den Amerikanern festgehaltenen Terroristen Ramzi Binalshibh und Khaled Scheich Mohammed zu gelangen, sagt Rühle kurz. Als er nach kaum mehr als einer Stunde zum Ende kommt, wiederholt er beinahe demonstrativ den zweiten Satz des Urteils: Dass der Angeklagte eine Entschädigung „für die erlittene Untersuchungshaft" bekommt. Mzoudi rührt sich auch jetzt nicht.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false