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Politik: An der Grenze ist für die Lebensmittellaster Schluss

Der Sicherheitsrat muss entscheiden, was mit den Lieferungen geschehen soll. UN beraten über die Hilfe für die Menschen im Irak

Von Barbara-Maria Vahl,

New York

Die Vereinten Nationen arbeiten an einer neuen Irak-Resolution. Deutschland, das dem Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats vorsitzt, leitet an diesem Wochenende ein Expertentreffen, das über die Fortführung des Öl-für-Lebensmittel-Programms berät. Mit dem Programm sollen die Auswirkungen der gegen Bagdad verhängten UN-Sanktionen auf die Bevölkerung gemildert werden. Anfang der abgelaufenen Woche wurde es ausgesetzt; soll es auch während der Kampfhandlungen weiterlaufen, muss der Sicherheitsrat dafür eine rechtliche Grundlage schaffen. Nach Angaben des Sprechers der deutschen UN-Vertretung könnte ein entsprechender Resolutionsentwurf am Montag oder Dienstag vorliegen.

Auf den Fluren der UN wird betont, man wolle keinesfalls die Politik der USA nachträglich absegnen, eine humanitäre Katastrophe müsse aber verhindert werden. Berlins UN-Botschafter Gunter Pleuger sagte am Freitag nach einer Sicherheitsratssitzung, der Rat stimme zu, dass Vorräte aus dem Öl-für-Lebensmittel-Programm genutzt werden sollten, um die Not der Iraker zu lindern. Nach UN-Schätzungen werden die Menschen vier, maximal sechs Wochen etwas zu essen haben. „Menschen, die fliehen, können aber nur Lebensmittel für wenige Tage mitnehmen", sagt ein UN-Mitarbeiter.

Sobald in Bagdad oder den anderen Städten die Stromversorgung zusammenbreche, gebe es zudem kein Trinkwasser mehr. Dann, so wissen Experten, wird das große Sterben beginnen, denn die Bevölkerung im Irak ist nach dem zwölfjährigen Sanktionsregime erheblich geschwächt. Das seit 1996 wirksame Programm Öl-für-Lebensmittel, das es Saddam Hussein erlaubte, unter UN-Aufsicht Öl zu verkaufen, um dafür Lebensmittel und Medikamente einzuführen, konnte die Lage nur graduell verbessern.

Rund zwölf Millionen Iraker, die Hälfte der Gesamtbevölkerung, sind heute jünger als 18 Jahre. Und wiederum die Hälfte aller Kinder ist mangelernährt. Jedes vierte Kind im Irak hat schon bei der Geburt Untergewicht und keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. Jedes achte Kind stirbt vor seinem fünften Geburtstag. „Die Kinder werden die Ersten sein, die in diesem Krieg sterben“, sagt ein UN-Mitarbeiter. Das Kinderhilfswerk der UN, Unicef, hatte vor Ausbruch des Krieges noch vier Millionen Kinder gegen Polio und weitere vier Millionen gegen Masern geimpft. Nach Abzug des UN-Personals aus dem Irak versuchen einheimische Unicef-Mitarbeiter nun, eiweißhaltige Kekse und Spezialmilch an Kinder zu verteilen.

UN-Generalsekretär Kofi Annan drängt, das Öl-für-Lebensmittel-Programm sofort wieder aufzunehmen, um die Versorgung der Bevölkerung mit Grundnahrungsmitteln aufrechtzuerhalten. Mehr als 60 Prozent der Bevölkerung sind auf die UN-Lieferungen angewiesen. Sie wurden bisher an den Grenzen des Irak von UN-Mitarbeitern kontrolliert und von irakischen Behörden an etwa 40 000 Stellen landesweit verteilt. Kurz vor dem Krieg bekamen die Menschen zwar größere Rationen ausgehändigt – „aber viele haben die Lebensmittel gegen Kleidung, Schuhe, Decken, Medikamente und andere Dinge getauscht", so ein UN-Mitarbeiter.

Hilfsorganisationen warnen vor einer Hungerkatastrophe im Irak. Der Sprecher von US-Präsident George W. Bush, Ari Fleischer, sah am Freitag dagegen keinen Grund zur Sorge. Auf die Frage einer Journalistin, wie sich die Menschen nun ernähren sollten, antwortete er: Die Bombardierung von Regierungs- und Militäreinrichtungen müsse nicht zwangsläufig die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung beeinträchtigen. Die US-Truppen sind nach eigenen Angaben aber darauf vorbereitet, die Bevölkerung im Notfall zu versorgen. Ein solcher lag am Samstag bereits vor: Nach der Einnahme der Stadt Umm Kasr kündigten die US-Streitkräfte an, man wollte versuchen, innerhalb von 72 Stunden Trinkwasser und Lebensmittel in die Stadt zu bringen.

Die UN könnten in weit größerem Umfang helfen. „An allen Grenzübergängen stehen Lkws, und vor den irakischen Häfen liegen Schiffe mit Lebensmitteln, medizinischen Gütern, dem gesamten alltäglichen Bedarf für die Bevölkerung", sagt ein UN-Mitarbeiter. „Sie müssen sich vorstellen, wir haben gegenwärtig Güter im Wert von zehn Milliarden Dollar, darunter Lebensmittel für rund 2,5 Milliarden Dollar, in der Pipeline, die durch sämtliche bürokratische Genehmigungsprozeduren bereits durch sind und nur noch geliefert werden müssten."

Barbara-Maria Vahl[New York]

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