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Politik: An der Grenze zur Meuterei

In der russischen Armee gärt es – Offiziere gehen für ihre Forderungen jetzt sogar auf die Straße

Sechs Busladungen mit Omon-Soldaten karrte Russlands Innenministerium am Samstag an, um das Gelände der Verwaltungsakademie im Südwesten Moskaus abzuriegeln. Die Kämpfer aus Sondereinheiten des Innenministeriums, gedrillt für Unruhen und Bürgerkrieg, sollten verhindern, dass aus einer Versammlung russischer Offiziere ein öffentliches Protestmeeting wird. Etwa 300 Delegierte, gewählt von Armee-Einheiten in 50 der insgesamt 89 russischen Regionen, wollten über einen Forderungskatalog beraten, der Kreml und Armeeführung zwingen soll, sich um die katastrophale Situation in den Streitkräften zu kümmern. Für ihre Versammlung hatten die Offiziere den Plenarsaal der russischen Verwaltungsakademie gemietet. Die machte jedoch am Freitagabend einen Rückzieher wegen angeblicher Formfehler des Mietvertrags. Die Offiziere hielten daraufhin die Veranstaltung unter freiem Himmel ab und warben auf der Straße um Unterstützung für ihre Forderungen.

Mit Absperrung und Boykott durch staatlich kontrollierte Medien – über die Versammlung berichtete nur der kritische Radiosender „Echo Moskwy“ – verschaffte sich die Politik nur eine Atempause. Für Mittwoch – Tag der „Verteidiger des Vaterlandes“ und arbeitsfrei – planen die Offiziere weitere Protestmeetings. Verstärkung aus den Regionen, so mehrere Teilnehmer, sei unterwegs.

Bisher war die Armee eine der wichtigsten Stützen Präsident Putins. Nicht zuletzt mit ihren Stimmen wurde er im März 2000 gewählt und vor knapp einem Jahr im Amt bestätigt. Nun zeigt das Militär dem einstigen „Soldatenkaiser“ die Zähne. Demokraten zweifeln bereits, ob der Kremlherrscher seine zweite Amtszeit bis zum Ende durchsteht. Schwer wiegende Mängel bei Ausbildung und Bewaffnung, vor allem aber die Abschaffung sozialer Vergünstigungen, die neben sozial Schwachen auch das Militär trifft, habe zu einem „gefährlichen Anstieg der Spannungen in den Einheiten“ geführt, heißt es in einer einstimmigen Resolution von Offizieren eines Ausbildungszentrums für Hubschrauberbesatzungen. Das, so die Online-Agentur „Grani.ru“, der das Dokument zugespielt wurde, sei ein einmaliger Vorgang in der jüngeren Geschichte Russlands und hart an der Grenze zur Meuterei. Die Vorwürfe haben es in der Tat in sich: „Legislative und Exekutive verfolgen zielgerichtet eine Politik, die zum Zerfall der eigenen Armee führt.“ Die Lage habe sich so zugespitzt, dass die Offiziere nicht mehr im Stande seien, Befehle durchzusetzen. Das gelte besonders für die Terrorismusbekämpfung.

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