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Weltweit sind 758 Millionen Erwachsene Analphabeten.

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Analphabetismus: Lernen leichter machen

In Deutschland gibt es mehr als zwei Millionen Analphabeten und mit der Flüchtlingskrise werden es noch mehr. Es fehlt ein breites, leicht zugängliches Kursangebot. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Amory Burchard

Weltweit sind 758 Millionen Erwachsene Analphabeten. Sie waren nicht in der Schule. Oder sie hatten in überfüllten Klassen und mit oft unzureichend qualifizierten Lehrkräften keine Chance, richtig lesen und schreiben zu lernen. Was hat das mit uns zu tun? Mit uns Zeitungslesern, Bücherwürmern, Textarbeiterinnen? Die Zahl, die jetzt von der Unesco veröffentlicht wurde, hat eine Menge mit der deutschen Gesellschaft zu tun, die sich so gerne als Bildungsnation verstehen möchte: 2,3 Millionen der Welt-Analphabeten kommen aus Deutschland, weitere 7,5 Millionen sind funktionale Analphabeten, die einfache Sätze, aber keine zusammenhängenden Texte lesen können.

Doch die Analphabeten der Welt kommen auch nach Deutschland – als Arbeitsmigranten und Flüchtlinge. Von jenen, die im vergangenen Jahr zu ihrem Bildungsstand befragt wurden, haben sieben Prozent keine Schule besucht und 22 Prozent nur die Grundschule.

Diese Daten sind kein Grund zur Verzweiflung. Ein Kinderspiel ist es für Erwachsene nicht, Lesen und Schreiben zu lernen, aber es ist möglich: in Volkshochschulkursen und vielen anderen lokalen Initiativen. Wer sich erst einmal herantasten will, kann das auf dem VHS-Portal „ich-will-lernen.de“ tun.

Wie sehr das Problem Deutschland angeht, zeigt auch dies: 56 Prozent der Hilfskräfte auf dem Bau sind Analphabeten, in Gastronomie und Hotels sind es 40 Prozent. Das ist dramatisch für eine Wissensgesellschaft, in der immer weniger Hilfsarbeiter und immer mehr hoch spezialisierte Fachkräfte gebraucht werden.

Der politische Wille, etwas dagegen zu tun, ist da. Eine „nationale Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung“ haben Bund und Länder schon 2012 vereinbart – unter anderem mit einer Plakat-Kampagne. 2015 haben Bundesbildungsministerin Johanna Wanka und die damalige KMK-Präsidentin Brunhild Kurth zusätzlich die „Dekade der Alphabetisierung“ ausgerufen, finanziert mit 180 Millionen Euro für neue Lernangebote. Mit dem offiziellen Start im November soll es nun an die Umsetzung gehen. Wann, wenn nicht jetzt, da nicht nur Millionen Deutscher, sondern auch zehntausende Flüchtlinge alphabetisiert werden müssen? Der Zeitpunkt, die Offensive mit einem millionenschweren Programm auch tatsächlich anzugehen, ist überfällig.

Die große Herausforderung bleibt aber, die Betroffenen zu motivieren, sich ihrer Leseschwäche zu stellen. Viele glauben, schon irgendwie zurechtzukommen, wenn Familie und Kollegen helfen. Was bisher geschah, ist nicht immer überzeugend. Ein Video-Spot aus der Kampagne zeigt einen Mann mittleren Alters, der auf einem Sprungbrett über einem Schwimmbecken steht. Er schaut zu seinem Sohn am Beckenrand – und springt. Am Ende sieht man den Mann in einer Lernsituation. Die Nichtschwimmer unter den Analphabeten, insbesondere unter den Flüchtlingen, wird das eher abschrecken.

Sie brauchen vor allem ein breites, leicht zugängliches Kursangebot. Dafür fehlen aber bislang qualifizierte Lehrkräfte. Für Flüchtlinge sind die Hürden, sich einen Kurs zu suchen, zudem besonders hoch. Sie müssen an die Hand genommen werden, damit sie auch in der VHS ankommen. Wenn wir sie damit alleine lassen, werden sie auch den Weg in den Arbeitsmarkt und damit in die Gesellschaft nicht finden.

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