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Die AfD wird in Hessen drittstärkste Kraft.

© dpa

Analyse der Kommunalwahl in Hessen: Die AfD gewinnt auch, weil viele Wähler zu Hause bleiben

Die neue Rechtspartei punktet in Hessen wegen der Flüchtlingskrise - zu Lasten von CDU und auch SPD. Die großen Verlierer sind die Grünen. Die FDP sendet ein Lebenszeichen.

Martin Hohmann ist wieder zurück. Als Spitzenkandidat der Alternative für Deutschland vertritt er die Rechtspartei künftig im Fuldaer Kreistag (Mitglied der Partei ist er noch nicht, befindet sich nach eigener Aussage aber in der „Verlobungsphase“). Einst saß Hohmann im Bundestag, von 1998 bis 2005, als Direktvertreter des Wahlkreises für die CDU, eine sichere Sache dort im östlichen Hessen. 2003 wurde Hohmann aber aus seiner Partei ausgeschlossen, nach einer Parlamentsrede, die in vielen Ohren antisemitisch geklungen hatte.

Die Gegend um Fulda ist eine tiefschwarze Region. Hohmanns Slogan auf der eigenen Website: „Gott, Familie, Vaterland.“ Am Sonntag bei der Kommunalwahl verlor die CDU mehr als sieben Prozentpunkte und erstmals die absolute Mehrheit im Kreistag. Die AfD gewann, mit Hohmann ganz oben auf der Liste, fast 14 Prozent. Ein Rechtsruck in Fulda – was wohl Alfred Dregger dazu sagen würde, der stramm konservative Christdemokrat, der die Region vor Hohmann jahrzehntelang im Bundestag vertrat?

Fulda ist symptomatisch für den Ausgang dieser Kommunalwahlen, denen mitten in der Flüchtlingskrise und eine Woche vor drei Landtagswahlen natürlich auch bundesweite Bedeutung beigemessen wird. Nach dem Trendergebnis (endgültige Zahlen werden wegen des aufwendigen Wahlvorgangs erst am Donnerstag vorliegen) verlor die CDU deutlich, sie rutschte landesweit von 33,7 auf etwa 28 Prozent. Die AfD dagegen stieg aus dem Stand auf mehr als 13 Prozent.

Allerdings waren die Zahlen am Montag mit etwas Vorsicht zu genießen: Sie basierten auf einer Teilauszählung, gewertet wurden nur jene Wahlzettel, auf denen Parteilisten ohne Änderungen angekreuzt waren. Da die hessischen Wähler aber auch mehrere Stimmen für bestimmte Kandidaten in den Listen vergeben konnten („kumulieren“) und auch quer über die Listen verteilen konnten („panaschieren“), gingen Wahlexperten wie Matthias Jung von der Forschungsgruppe Wahlen davon aus, dass am Ende ein etwas anderes Ergebnis herauskommen werde. Gut ein Drittel der Wahlzettel wurde bis Montag nicht ausgewertet. Da viele Protestwähler dazu neigen, Listen ohne Veränderung anzukreuzen, könnte der AfD-Erfolg am Ende schmäler ausfallen. Aber der Trend in Hessen war eindeutig.

Die Grünen nach Fukushima

Er traf neben der CDU vor allem die Grünen. Sie konnten ihr gutes Ergebnis von 2011 nicht halten. Damals waren sie, unter dem Eindruck der Akw-Katastrophe von Fukushima auf 18,2 Prozent gekommen, am Sonntag landeten sie bei gut elf Prozent. Ein Denkzettel auch, weil sie sich 2013 auf eine Koalition mit der CDU im Wiesbadener Landtag einließen? Bei manchen Wählern mag das eine Rolle gespielt haben, aber die Linke profitierte kaum davon, sie legte nur mager von 2,7 auf knapp vier Prozent zu.

Die Grünen verloren wohl einfach viele Angst- und Proteststimmen von damals; dass jetzt auch in Hessen diverse Bürgergruppen und die AfD punkten konnten, weil sie sich gegen Windräder stellten, das Symbol grüner Energiepolitik, ist ein Zeichen dafür, wie sehr Wahlmotive sich wandeln und Ergebnisse von einer Wahl zur anderen ins Schaukeln geraten. Den kombinierten schwarz-grünen Verlust wollte Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) nicht auf die 2013 von CDU und Grünen gebildete Landesregierung beziehen. Doch kritisierte er den Streit in der großen Koalition im Bund über die Flüchtlingspolitik. In Frankfurt am Main verlor Schwarz-Grün die Mehrheit im Stadtparlament.

Verloren hat am Sonntag auch die SPD, wenn auch moderater von 31,5 auf etwa 28 Prozent. Auch hier dürfte, wie bei der CDU, Bürgerunmut über die Berliner Flüchtlingspolitik die wesentliche Rolle spielen. Gemessen an der Aufregung der vergangenen Wochen sind die Verluste von Christ- wie Sozialdemokraten aber geringer ausgefallen, als manche vermutet hatten.

Zu den Gewinnern zählte die FDP – unzufriedene CDU-Anhänger, die nicht nach ganz rechts driften möchten, bekamen dank der Positionierung von FDP-Chef Christian Lindner gegen Merkels Flüchtlingspolitik Gelegenheit, die Freidemokraten für das Verteilen eines Denkzettelchens zu nutzen. Krisengewinnler auch hier: Die gut sechs Prozent waren für die FDP eines der besten Kommunalwahlergebnisse in Hessen seit langem. Allerdings spielten, wie immer bei solchen Wahlen, auch rein lokale Themen eine wichtige Rolle – in Bad- Homburg etwa die Verlängerung der U-Bahn-Linie, wogegen vor allem die FDP Stimmung gemacht hatte. Interessant ist, dass örtliche Wählergruppen nicht zugelegt haben.

Es gibt ein Mobilisierungsproblem

Freilich sollten bei der Beurteilung der hessischen Ergebnisse einige Fakten nicht übersehen werden, auch mit Blick auf den 13. März in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt. Die Wahlbeteiligung war mit 48 Prozent kaum stärker als 2011, eine höhere Mobilisierung aufgrund einer ausgeprägten Proteststimmung gab es also nicht. Auch in Frankfurt am Main nicht – wo die Wahlbeteiligung sogar auf nur 39 Prozent sank. Möglich ist, dass Anhänger der CDU am Sonntag lieber nicht wählten.

Andererseits ist die AfD vorerst nicht in der Lage, flächendeckend anzutreten. Zwar schaffte sie es, zu allen Kreistagen zu kandidieren. Bei den Gemeindewahlen stellte sie jedoch bei weitem nicht überall eigene Kandidaten auf, bei den Bürgermeisterwahlen gab es in den größeren Kommunen nicht einen AfD-Bewerber. Sonst wäre der AfD-Stimmenanteil landesweit vielleicht etwas höher gewesen. Konstruktiv will sich die Rechtspartei nicht geben, was sie ja in den ostdeutschen Landtagen bereits zeigt – ein Sprecher der Landespartei kündigte an, man werde nur oppositionell agieren und keine Koalitionen anstreben.

Den hessischen Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) erinnerte der Wahlabend an 1993. Auch damals hätten Flüchtlingszahlen die Debatte bestimmt, wegen der Balkankriege waren sie stark gestiegen. Das habe die rechtsradikalen Republikaner in die Parlamente gebracht. „Und die sind danach auch wieder verschwunden“, sagte Schäfer. Er war einst enger Mitarbeiter von Roland Koch, der 1998 die rot-grüne Landesregierung dank eines Stimmungswahlkampfes ablöste, in dem das Ausländerthema eine starke Rolle spielte – durch eine Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft.

Ein besonderer Fall war am Sonntag das Städtchen Büdingen. Dort gibt es eines der Erstaufnahmelager für Flüchtlinge und Asylbewerber in Hessen. Die AfD trat dort nicht an. Wohl aber die rechtsextreme NPD – sie kam beim Trendergebnis auf mehr als 14 Prozent der Stimmen. Was zu der Frage führt: Machen Protestwähler gegen die Flüchtlingspolitik der Regierung Merkel und gegen die „Altparteien“ insgesamt keinen großen Unterschied zwischen AfD und NPD? Die NPD sieht das offenbar so. Sie will jetzt in Sachsen-Anhalt und Rheinland-Pfalz um die (entscheidende) Zweitstimme von AfD-Anhängern werben.

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