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Analyse: Laptop, Lederhose, Scharia

Der erste bayerische Koalitionsstreit geht um islamisches Recht – das in Deutschland längst gilt.

Mit seiner neuen Koalition wird Bayern liberaler – aber gleich so weit? Zur Vereidigung der Minister äußerte sich der designierte Integrationsbeauftragte, der FDP-Landtagsabgeordnete Georg Barfuß, positiv zur Anwendung islamischen Rechts. „Wo sich die Scharia mit dem Grundgesetz als kompatibel herausstellt, soll sie in Bayern erlaubt sein“, sagte er der „Süddeutschen Zeitung“ – und holte der frisch gebildeten Regierung den ersten Koalitionskrach ins Haus. Scharia und Bayern? „Niemals“, entgegnete Innenminister Joachim Herrmann (CSU), „wird die Scharia Bestandteil unserer Rechts- und Werteordnung“. Barfuß sprach von einem „Missverständnis“.

In dieser Frage prallen derzeit nicht nur in Bayern die Welten aufeinander. Großbritannien führt seit Wochen wieder eine Scharia-Diskussion, mit einem neuen Höhepunkt in dieser Woche: Justizstaatssekretärin Bridget Prentice verkündete, britische Familiengerichte könnten förmlich Scharia-Urteile akzeptieren und dadurch rechtskräftig werden lassen. Doch ähnlich wie Barfuß wurde auch Prentice von höherer Seite gedeckelt: Die Argumente gegen eine islamische Justiz seien „überwältigend“, erklärte Großbritanniens Justizminister Jack Straw und gab als Direktive aus: „Die Ausübung der Scharia muss britischen Gesetzen unterworfen bleiben.“

Gewaltiges Empörungspotenzial

Der Scharia-Streit birgt in Deutschland gewaltiges Empörungspotenzial, wie im Sommer vergangenen Jahres Reaktionen auf das Urteil einer hessischen Richterin zeigten, die in einem Scheidungsfall mit dem Koran argumentierte. Für den Erlanger Wissenschaftler Mathias Rohe, Zivilrechtler und einer der führenden deutschen Experten auf dem Gebiet islamischen Rechts, sieht die Wahrheit dagegen sehr nüchtern aus: „Die Scharia ist im deutschen Recht Realität – und zwar seit über hundert Jahren“, sagte er dem Tagesspiegel am Freitag. „Wenn ein Muslim nach der Scharia betet und fastet, übt er geltendes Verfassungsrecht aus“, sagte Rohe weiter. Denn dies schütze die Ausübung seiner Religion. Seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuchs würden Regeln der Scharia vor Gericht beachtet. Wollten etwa zwei Jordanier in Deutschland heiraten, so sei das Scharia-geprägte jordanische Recht maßgeblich.

Auch in die Gesetzgebung sei die Scharia eingeflossen, etwa ins Sozialgesetzbuch. Ein Muslim könne Rentenanwartschaften auf bis zu vier Ehefrauen verteilen, damit werde die für deutsche Heiratswillige verbotene Polygamie für Muslime offiziell gebilligt. Dies bedeute natürlich nicht, so Rohe, dass das Institut der Polygamie als solches anerkannt würde. Die Eingehung einer solchen Ehe sei in Deutschland sogar strafbar. Vielmehr gehe es darum, solchen im Ausland wirksam eingegangenen Beziehungen auch im Inland gewisse Schutzwirkungen zugunsten der Ehefrauen gegenüber dem Ehemann zu verleihen.

Barfuß habe „unglückliche Worte gewählt“, so Rohe, „aber in der Sache hat er recht“. Zugleich machte der Rechtswissenschaftler deutlich, dass Scharia-Regeln nur so lange akzeptierbar seien, wie sie mit deutschem Recht vereinbar sind. „Nachteile für Frauen, wie sie im Sorgerecht oder im Erbrecht zur Scharia gehören, können wir nicht hinnehmen“, sagte er, Gewalt und Körperstrafen seien ohnedies nicht akzeptabel. „Aber ich kenne keinen Muslim in Deutschland, der dies fordert.“

Frankreich ging noch weiter

Im französischen Recht war man bei der Rezeption der Scharia sogar noch weiter gegangen und hatte bis in die neunziger Jahre Muslimen erlaubt, ihre (mehreren) Ehegattinen nachziehen zu lassen. Das deutsche Ausländerrecht hat dagegen nie Rücksicht darauf genommen. In den Pariser Vorstädten, in denen es immer wieder zu Gewaltausbrüchen kommt, leben zahlreiche Großfamilien, in denen ein Mann mehrere Ehefrauen und viele Kinder zu versorgen hat.

Nach Meinung des Juristen Rohe ist weniger zu fragen, ob die Scharia juristisch relevant sein soll als vielmehr, welchen Stellenwert man ihr beimisst und inwieweit man sie institutionell verbindlich macht. So darf an britischen Schiedsgerichten in Familiensachen muslimisches Recht gesprochen werden, das die staatliche Justiz bestätigen kann – auf nichts anderes wollte Staatssekretärin Prentice hinweisen. Rohe sieht diesen Weg jedoch kritisch: „Familiensachen sind keine Privatsachen“, sagte er. Es gebe ein öffentliches Interesse daran, Fragen von Trennung, Unterhalt und Sorgerecht im Sinne eines gesellschaftlichen Konsenses zu lösen.

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