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Analyse: Soll und Haben

Der Koalitionsvertrag zwischen Union und FDP steht – und wird bereits kritisiert. Wie sind seine Inhalte zu bewerten?

HAUSHALT

Der Bund wird 2010 neue Schulden in Rekordhöhe aufnehmen. Die Krise führt zu Milliardenlöchern im Haushalt, außerdem wollen Union und FDP die Defizite in den Sozialversicherungen durch neue Schulden stopfen. Das Wort „Schattenhaushalt“ vermeidet Schwarz-Gelb, nachdem während der Koalitionsverhandlungen der Vorwurf des Tricksens und Täuschens immer lauter wurde. Nicht zuletzt wollen die Partner in den nächsten Jahren Steuersenkungen finanzieren – angesichts der Haushaltslage ein waghalsiges Unternehmen. Einen ausgeglichenen Haushalt – also einen, bei dem die Einnahmen die Ausgaben decken – hält der designierte Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) in dieser Wahlperiode für utopisch. In der Krise helfe Sparen allein nicht weiter, sagt er. Konkrete Sparlisten tauchen im Koalitionsvertrag nicht auf, allerdings gibt es einen generellen Finanzvorbehalt für alle Ausgaben. Und 2010 will die schwarz-gelbe Koalition eine Zwischenbilanz ziehen und dann beurteilen, was ab 2011 überhaupt finanziell machbar ist. (ce)

STEUERN

„Mehr Konsum und mehr Investitionen“ heißt es im Vertrag zur Begründung der geplanten Steuersenkungen. Die ersten stehen bereits im Gesetzblatt und treten zum Januar in Kraft: die Absetzbarkeit der Krankenversicherungskosten von der Steuer und die Anhebung des Grundfreibetrages auf 8004 Euro. Allein diese Maßnahmen kosten Bund, Länder und Kommunen 14 Milliarden Euro im Jahr. Schwarz-Gelb will im Laufe der nächsten Jahre weitere 24 Milliarden oben drauf packen. Zunächst soll der steuerliche Kinderfreibetrag ab 2010 auf 7008 Euro steigen und das Kindergeld angehoben werden. Ab 2011 sollen untere und mittlere Einkommen steuerlich entlastet und der „Mittelstandsbauch“ abgeflacht werden. Dazu wollen Union und FDP die Einführung eines Stufentarifs prüfen. Vorgesehen ist außerdem die Abschaffung einiger Gesetze, mit denen die Vorgängerregierung verhindern wollte, dass sich gut verdienende Unternehmen vor dem Finanzamt arm rechnen und keine Steuern mehr zahlen. Bei der Erbschaftsteuer soll es billiger werden, Tanten, Geschwister zu beerben und das Unternehmen von Verwandten weiterzuführen.

Festzuhalten bleibt zunächst: Die Anhebung des Grundfreibetrags für Erwachsene und Kinder wird zumindest bedeuten, dass die Familien nach steigenden Sozialabgaben und Kosten für Strom und Heizung nicht weniger im Geldbeutel haben. Das ist zu begrüßen. Auch die geplante Abflachung des „Mittelstandsbauches“ bewirkt, dass insbesondere im mittleren Einkommensbereich ein hinzuverdienter Euro nicht übermäßig vom Finanzamt einkassiert wird. Ohnehin sinken die Nettoeinkommen der Arbeitnehmer seit Jahren kräftig. Dem wirken die von Schwarz-Gelb geplanten Maßnahmen entgegen. Ob damit allerdings der Konsum angeheizt und wie gewünscht die Krise bekämpft werden kann, darf bezweifelt werden. Der Anreiz ist zu gering und kommt zu spät. Auch die Entlastung der Unternehmen ist fragwürdig. Schließlich gab es gerade eine Senkung der Steuersätze. Ein klassisches Wahlgeschenk an die Lobby der Gastwirte ist die Senkung der Mehrwertsteuer für die Branche auf sieben Prozent. Ob es überhaupt zur Einführung eines Stufentarifs in der Einkommenssteuer kommt, ist fraglich: Jede Änderung im System führt zu gewaltigen Steuereinnahmeverlusten. (asi)

GESUNDHEIT

Man mag von der Festlegung inhaltlich halten, was man will: Mutig ist sie. Die Koalition will erklärtermaßen nicht nur die Arbeitgeberbeiträge für die Krankenversicherung einfrieren. Sie will das System „langfristig“ auch auf einkommensunabhängige Arbeitnehmerbeiträge umstellen. Den Mut, ihr Unternehmen Kopfpauschale ein wenig genauer zu beschreiben, haben FDP und Union jedoch nicht aufgebracht. Keine Rede davon, wie der dazugehörige Sozialausgleich aus Steuermitteln gestaltet werden soll. Kein Sterbenswörtchen darüber, welche Prämienbelastung die neue Regierung für zumutbar hält. Und kein Hinweis darauf, dass die Umgestaltung genau das zur Folge haben könnte, was die Koalition zu vermeiden versprochen hat: Steuererhöhungen. Schon bei einer Pauschale von 109 Euro, so hat die Union vor fünf Jahren berechnet, müsste man für einen fairen Sozialausgleich mindestens 24 Milliarden Euro aufbringen. Inzwischen müsste die Prämie wohl deutlich höher ausfallen. Woher also den Sozialausgleich nehmen?

Geschickterweise wurde gleich auch offengelassen, welche Beitragsanteile überhaupt einkommensunabhängig gestaltet werden sollen. Alle, wie die FDP beteuert? Oder fast gar keine, wie die CSU glauben machen will, wenn sie die beschlossene Pauschale jetzt zu „Prämienelementen“ verniedlicht. Auch der Passus der „weitgehenden“ Entkopplung der Gesundheitskosten von den Lohnzusatzkosten ist auslegungsfähig.

Auffällig ist, dass der Koalitionsvertrag nicht den Hauch konkreter Sparvorschläge für die explodierenden Gesundheitsausgaben enthält. Um keinen Leistungserbringer zu verschrecken, wurde stattdessen auf Seite 78 der schöne Satz formuliert: „Unnötige Ausgaben sind zu vermeiden.“ Klar doch. Weit bereitwilliger in die Details geht man bei Versprechungen für die eigene Klientel. So will die Koalition nicht nur sogenannte Pick- Up-Stellen für Arzneimittel verbieten. Sie übernimmt dafür wortgleich die Formulierung der Apothekervereinigung, die sich über „Auswüchse des Versandhandels“ beschwert hatte. Auch mit der Überprüfung des Basistarifs, der Begrenzung von Wahltarifen für gesetzliche Kassen und der Erleichterung des Wechsels zu Privatversicherern werden die Koalitionäre konkret – im Sinne der Privatanbieter. Für die niedergelassenen Mediziner gibt es gleich mehrere Bonbons – vom Bekenntnis zum freien Arztberuf über die Beschränkungen für medizinische Versorgungszentren bis hin zu den „erforderlichen Kurskorrekturen“ bei der Überprüfung der ungeliebten Honorarreform. Natürlich „zusammen mit den Beteiligten“. (raw)

PFLEGE

Hier müssen die Bürger künftig tiefer in die Tasche greifen. Zu den einkommensabhängigen Beiträgen kommt nun die Pflicht zur Privatvorsorge. Wer den Menschen pauschal zehn oder 20 Euro im Monat abverlangen will, sollte ihnen sagen, woher sie die nehmen sollen. Warum man nach den Erfahrungen der Finanzkrise glaubt, es sei besser, Teile des Sozialversicherungssystems dem Kapitalmarkt zu überantworten, bleibt das Geheimnis der Koalitionäre. Zudem passt es nicht zusammen, sich über Zwangsabgaben und staatliche Bevormundung zu erregen und dann bei der Vorsorge selber auf Zwang zu setzen.

Ungerecht sind die Pläne nicht nur wegen der für Arm und Reich gleich hohen Pauschalen. Der Umbau belastet vor allem die 30- bis 50-Jährigen. Sie müssen nun gleichzeitig für die eigene Pflege sparen und das Geld für die bereits Pflegebedürftigen aufbringen, die noch nicht vorsorgen mussten.

Wer mehr zahlen muss, will wissen wofür. Um die Heimpflege ist es bekanntlich nicht zum Besten bestellt, das liegt nicht nur an fehlendem Geld. Verbesserungsvorschläge haben die Koalitionäre nicht. Vor allem lassen sie ein Grundübel weiter bestehen: das alte, unverbundene Nebeneinander von Kranken- und Pflegekassen. Durch das Hin- und Hergeschiebe zwischen Zuhause, Pflegeheim und Krankenhaus werden Unmengen an Geld vergeudet. Die Leidtragenden sind die Pflegebedürftigen, an denen sich umso besser verdienen lässt, je hinfälliger sie sind. (raw)

BILDUNG

Die Forschungsorganisationen sind begeistert. Die Regierung gebe „der Wissenschaft in Deutschland allen Grund zur Zuversicht“, sagte Ernst Theodor Rietschel, Präsident der Leibniz-Gemeinschaft, am Sonntag. „Eine Koalition für Wissenschaft und Forschung“ sei die neue Regierung, sagte Peter Gruss, Präsident der Max-Planck-Gesellschaft. Das Lob dürfte daraus resultieren, dass Union und FDP endlich eine konkrete Summe nennen, die zusätzlich in Bildung und Forschung fließen soll: Zwölf Milliarden Euro will der Bund dafür bis 2013 mehr ausgeben. Die Koalitionäre haben den bisherigen Haushaltsvorbehalt für zentrale Projekte aufgehoben: für den zweiten Hochschulpakt für mehr Studienplätze, für die Fortsetzung des Elitewettbewerbs der Unis und eine bessere Ausstattung der außeruniversitären Institute. „Die Pakte sind in dem beschlossenen Umfang eingeplant“, sagte Nordrhein-Westfalens Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart. Ein Viertel der zusätzlichen Mittel soll in diese Vorhaben fließen. Etwas vager ist das Versprechen, an dem Ziel vom Bildungsgipfel festzuhalten: Bund, Länder und Wirtschaft wollen bis 2015 zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung und Forschung ausgeben. Der Beitrag des Bundes sei mit den zwölf Milliarden erfüllt, hieß es. Man wolle Anreize schaffen, dass auch Länder und Wirtschaft ihren Anteil leisten. Allerdings versuchen die Finanzminister der Länder derzeit, die Bildungsausgaben so schönzurechnen, dass sie gar nichts zusätzlich zahlen müssen. Abzuwarten bleibt, was aus den anderen Plänen wird. Beim nationalen Stipendiensystem befürchten Kritiker, das nach sozialen Kriterien vergebene Bafög leide darunter. Die angekündigten Sprachtests für Vierjährige haben mehrere Länder wie Berlin längst eingeführt. Bei der Stammzellforschung einigten sich die Partner darauf, dass sie ihre verschiedenen Positionen anerkennen. Ändern dürfte sich da also gar nichts. (tiw)

INTEGRATION

„Die Integration der Menschen mit Migrationshintergrund ist für Deutschland eine Schlüsselaufgabe. Unser Zusammenleben soll von Respekt, gegenseitigem Vertrauen, von Zusammengehörigkeitsgefühl und gemeinsamer Verantwortung geprägt sein.“ Wie schon 2005 zu Beginn der Koalition von CDU und SPD rückt Integration damit erklärtermaßen an die Spitze der politischen Agenda. Konkret soll nun auch ein „Bundesbeirat für Integration“ geschaffen werden. Und die Koalitionsparteien haben auch ein wesentliches Problem erkannt: Die Datenbasis der Politik ist noch immer beschämend dünn. So weiß man über die Bildungssituation von Migranten noch immer reichlich wenig – obwohl sie als Schlüsselthema gilt. Dazu heißt es im Vertrag: „Die erforderlichen Datengrundlagen werden wir schaffen.“

Der unabhängige Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) lobt denn auch die guten Absichten: Dass Integrationspolitik „als Teil der regulären Bildungs- und Sozialpolitik“ aufgewertet und verstetigt werden solle, sei begrüßenswert. Auch dass Ausländerbehörden von einer „defensiven Ausländerkontrolle“ wegkommen und zu Dienstleistern werden sollen. „Mitunter mutlos und vage“ seien aber die Aussagen zur Migrationssteuerung, kritisiert der SVR-Vorsitzende Klaus J. Bade. Und die „lebensfremde Rechtsakrobatik“ der Optionsregelung gehöre nicht einfach nur justiert - sie gibt hier geborenen jungen Ausländern zunächst die deutsche Staatsbürgerschaft, nimmt sie aber denen wieder ab, die nach dem 18. Geburtstag auch den Pass der Eltern behalten wollen. Angesichts sinkender Einbürgerungszahlentue vielmehr „eine Generalreform der Einbürgerungsregeln“ not. (ade)

WEHRPFLICHT

Der Wehrdienst wird so kurz wie nie zuvor: Bis Januar 2011 soll die Wehrpflicht von neun auf sechs Monate reduziert werden. In der Bundeswehr wird dies mit gemischten Gefühlen gesehen. Den Soldaten könnten zwar Grundkenntnisse vermittelt werden, es bleibe aber keine Zeit mehr, sie in die Praxis umzusetzen, argumentieren einige Generäle. Die FDP führt dagegen an, durch die kürzere Zeit steige die Zahl der Rekruten und damit die Wehrgerechtigkeit. Schließlich werden mittlerweile fast 50 Prozent der jungen Männer ausgemustert. Umstritten ist, ob die Entscheidung der erste Schritt zum Ausstieg aus der Wehrpflicht ist – und damit hin zu einer reinen Freiwilligenarmee. ce

FAMILIE

Die Koalition will ein Teil-Elterngeld einführen. Junge Mütter und Väter, die nach der Geburt ihres Kindes in Teilzeit weiter arbeiten, sollen für einen längeren Zeitraum als bisher das staatliche Elterngeld erhalten – bis zu 28 Monate. Attraktiv für Eltern, die in der Babypause nicht den Kontakt zum Arbeitgeber verlieren wollen. Interessant auch für Unternehmen. Sie können ihre Mitarbeiter binden, müssen sie aber während der Teil-Elternzeit nicht voll bezahlen. Erfreulich ist für Eltern zudem, dass Klagen gegen Kinderlärm vor deutschen Gerichten nicht mehr durchkommen sollen – die Koalition will die Bundesgesetze entsprechend ändern. Umstritten ist dagegen das Betreuungsgeld, das es ab 2013 geben soll. Wer ein Kind unter drei Jahren zu Hause betreut, soll vom Staat 150 Euro im Monat bekommen. Kritiker bemängeln, dies sei vor allem für finanziell schlecht gestellte Eltern ein Anreiz, ihre Kinder nicht in den Kindergarten zu schicken. Diesen fehle dann die Förderung. (ce)

RENTE

Union und FDP widmen der Rente gerade mal eine halbe Seite im Koalitionsvertrag. Die Versprechen klingen nicht schlecht, sind aber sehr vage und stehen unter Finanzvorbehalt: die staatlich geförderte Riester-Rente für Selbstständige ebenso wie die bessere Berücksichtigung der Erziehungsleistungen in der Alterssicherung oder ein einheitliches Rentensystem in Ost und West. Es kommt also auf die Umsetzung an. (ce)

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