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Politik: Anarchie mit Kick

Von Lorenz Maroldt

Irritierend an den Skandalen der letzten Zeit ist das Anarchische. Erstaunlich, was in einem Land ungeregelt ist, dessen Regierungen danach trachten, keinen noch so hypothetischen Zweifelsfall ohne Gesetz oder zumindest eine Verordnung zu lassen. Abstoßend die gespielte Naivität und Scheinheiligkeit, mit denen das Selbstverständliche im Augenblick der Empörung von jenen gefordert wird, die es in der Hand hatten, zu handeln. Warum taten sie es nicht?

Seit langem ist bekannt, dass eine Nebenbeschäftigung von Politikern ihre Unabhängigkeit gefährdet. Seit langem fordern Politiker deshalb schärfere Regeln – von sich selbst. So war es auch diesmal wieder, im Zusammenhang mit Laurenz Meyer, Volkswagen und anderen. Und so wird es wieder sein.

Seit langem ist bekannt, dass beim Fußball mehr als nur sportlicher Einsatz eine entscheidende Rolle spielen kann. Aber bis vergangene Woche war es Schiedsrichtern und Spielern nicht einmal verboten, auf ihre eigenen Partien zu wetten, trotz der Erfahrungen aus dem Bundesligaskandal Anfang der siebziger Jahre, trotz der Affären in anderen Ländern, trotz seltsamer Einsätze und Ergebnisse.

Nun wetteifern Sportfunktionäre und Politiker um die wohlfeilste Forderung. Innenminister Schily, Oberschiedsrichter Roth, Ministerpräsident Beck, DFB-Chef Mayer-Vorfelder, Manager, Trainer, Spieler und auch ZDF-Moderator Steinbrecher können sich des Beifalls sicher sein, wenn sie jetzt, erst jetzt, scheinbar Selbstverständliches fordern: Aufklärung, schärfere Regeln, Wettverbote, einen Ehrenkodex, die Bekämpfung illegaler Wettbüros. Seltener ist zu hören, wer alles vom Wettfieber profitiert – die Vereine durch Werbung, die Politik durch Steuern, die WM-Organisatoren durch Sponsoring.

Der Ruf des deutschen Fußballs wurde leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Jetzt geht es um den Ruf von Spielern und Schiedsrichtern, und die Leichtfertigkeit setzt sich fort. Der DFB verriet ausgerechnet seine Kronzeugen und setzte sie so dem Verdacht aus, selbst korrumpiert worden zu sein; ein Magazin aus München, ausgerechnet, berichtet kurz vor dem Spiel der Bayern in Berlin, drei Hertha-Spieler seien in der Gaststätte der Wettmafia gesehen worden. Erinnert sich noch jemand an 1984, als im DFB-Pokalendspiel Lothar Matthäus im letzten Spiel für Mönchengladbach vor seinem Wechsel nach München einen Elfmeter verschoss – gegen München?

Nein, so geht das alles nicht. Zur Aufklärung gehört es, einem Verdacht nachzugehen. Aber ein Eigentor, ein Bier – das reicht nicht aus, um Namen zu nennen. Die Reaktion von Hertha-Manager Hoeneß war deshalb richtig, wenn auch mutig. Seine Ehrenerklärung für die betroffenen Spieler auf der Grundlage einer eidesstattlichen Versicherung ist eine Wette auf deren Glaubwürdigkeit. Drücken wir ihm und uns die Daumen, dass er nicht zweimal getäuscht worden ist.

Irritierend an den Skandalen der letzten Zeit ist auch die unterschiedliche Reaktion des Publikums. Aber nur auf den ersten Blick. Von der Politik wenden sich die Menschen ab, nicht einmal mehr enttäuscht. Die Erwartungen sind hier schon gering geworden. Zum Fußball aber zieht es sie hin. In den vergangenen Tagen gab es in den Stadien eine Massendemonstration mit Solidaritätsadresse, die zwar mehr auf Hoffnung baute als auf Vertrauen, die im Jahr vor der Weltmeisterschaft aber unendlich wertvoll war. Die Fans wollen den Kick. Mit allem, was dazugehört. Also auch mit Regeln.

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