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Andrea Nahles (SPD).

© dpa

Andrea Nahles im Interview: SPD-Wahlkampf: "Das wird kein Spaziergang"

Die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles im Tagesspiegel-Interview über ihr spannungsreiches Verhältnis zu Peer Steinbrück, dessen Reaktion auf die Nebenverdienst-Debatte - und warum sie im Wahlkampf nicht darauf bestehen wird, das letzte Wort zu haben.

Von
  • Hans Monath
  • Antje Sirleschtov

Frau Nahles, Hand aufs Herz: Hätten Sie sich vor einem Jahr vorstellen können, dass die SPD Peer Steinbrück als Kanzlerkandidaten akzeptiert?

Durchaus. Es war doch seit mehr als einem Jahr klar, dass Peer Steinbrück einer von drei Anwärtern auf die Kandidatur ist.

Vor einem Jahr empfahl Helmut Schmidt den Ex-Finanzminister als Kanzler, beide veröffentlichten ein Buch. Sie mahnten Steinbrück damals, in der SPD rufe man sich nicht selbst zum Kandidaten aus.

Ich fand das zu dem Zeitpunkt deutlich verfrüht. Der Unterschied ist: Der Parteichef und der Bundesvorstand haben sich nun entschieden – einstimmig. Wir haben also ein Legitimationsverfahren.

Damals zweifelten starke Kräfte in der SPD an der Eignung Steinbrücks als Kandidat. Warum ist das nun anders?

Es wird im Wahlkampf um die Zukunft Europas gehen und um die Frage, was wollen wir für eine Gesellschaft. Dazu gehört die Frage, wie wir die Verursacher der Krise mit in die Pflicht nehmen, nämlich die Finanzmärkte und Banken. Peer Steinbrück hat sehr viel Erfahrung, Weitsicht und eine hohe Glaubwürdigkeit. Wir werden eine Alternative herausarbeiten zu Frau Merkel, die nun einmal zum Schwurbeln und zu Kehrtwenden neigt. Peer Steinbrück redet Klartext und hat eine Vorstellung davon, wohin wir wollen und müssen. Diese starken Argumente haben die SPD überzeugt.

Dass Steinbrück die Genossen als Heulsusen bezeichnete, haben Sie ihm verziehen?

Legen Sie das nicht auf die Goldwaage. Der Satz fiel in einer Zeit heftigster Auseinandersetzungen in der SPD. Er würde das heute sicher nicht wiederholen.

Hat Steinbrück Ihnen die Mahnung, er solle sich nicht selbst ausrufen, damals übel genommen?

Er hat sich nicht bei mir beschwert.

Nach der Ausrufung zum Kanzlerkandidaten sagte Steinbrück, ohne Andrea Nahles wäre sein Leben nicht ärmer. Inzwischen hat er sich entschuldigt. Freut Sie das?

Klar, das hat mich gefreut. Jedem unterlaufen Missgeschicke, aber nicht jeder hat die Souveränität, sie wieder glatt zu bügeln. Die Wahlkampagne der nächsten zwölf Monate wird kein Spaziergang. Mit seiner Entschuldigung weiß ich, dass wir auch in Konfliktsituationen gut klarkommen werden. Ich schätze den ehrlichen und offenen Umgang sehr.

Die Entscheidung wurde unausweichlich, weil Fraktionschef Steinmeier klarmachte, dass er nicht zur Verfügung steht. Nehmen Sie oder Sigmar Gabriel ihm übel, dass er unabgestimmt Fakten geschaffen hat?

Nein. Natürlich war ich im ersten Moment überrascht über den Zeitpunkt. Mit zwei Wochen Abstand aber finde ich, dass das absolut in Ordnung war. Die ganze Partei ist froh, dass wir nun Klarheit haben.

Bleibt da etwas hängen?

Nein. Als sich die Ereignisse überschlugen, haben wir uns zusammengesetzt und entschieden, dass wir die Spekulationswellen brechen wollen. Unterm Strich ist es gut gelaufen.

"Jeder, der einen guten Wahlkampf machen will, muss sich in den Dienst des Kanzlerkandidaten stellen."

Belastet es den Kandidaten, dass er nicht mit einer fertigen Mannschaft antreten kann, kein fertiges Programm hat und in manchen Themen noch nicht firm ist?

Wir haben schnell die ersten organisatorischen Fragen geklärt, Peer Steinbrück hat bereits ein Büro im Willy-Brandt-Haus. Der Start ist etwas rumpelig gelaufen, aber es gibt keinen Grund, das zu problematisieren. Wir sind handlungsfähig und alles andere lässt sich klären.

Will der Kandidat denn auch auf seine Partei hören?

Natürlich will er das, das stand auch nie infrage. Wir haben mit Peer Steinbrück bereits eine Tour durch die SPD-Landesverbände geplant und bereiten gemeinsam den Parteitag vom 9. Dezember vor. Ich habe den Eindruck, dass Steinbrück sich im Willy-Brandt-Haus sehr gut aufgehoben fühlt.

Wozu soll die Tour gut sein?

Die Landesverbände wollen den Kandidaten erleben, sie wollen ihm ihre Wünsche und Anregungen erläutern. Und Peer Steinbrück will um Unterstützung werben für seine Wahl auf dem Parteitag am 9. Dezember. Tuchfühlung ist wichtig.

Werden ihm die Landesverbände die Beinfreiheit geben, die er verlangt?

Das versteht die Partei. Aber die Partei braucht gleichzeitig auch den Dialog mit dem Kandidaten über Schwerpunkte der Kampagne und die Ausrichtung des Wahlprogramms. Dafür haben wir bereits den Bürgerdialog begonnen.

Wer hat das letzte Wort, wenn es im Wahlkampf zu Streit kommt. Der Kandidat oder Sie?

Das letzte Wort hat immer der Kandidat. Die Kampagne darf ihm nicht übergestülpt werden, er muss sich mit ihr wohl fühlen. Es muss seine Kampagne sein.

Laut SPD-Satzung leiten Sie als Generalsekretärin den Wahlkampf.

Jeder, der einen guten Wahlkampf machen will, muss sich in den Dienst des Kanzlerkandidaten stellen. Wir haben eine wichtige Lehre aus vergangenen Wahlen gezogen: Es darf kein Nebeneinander von Willy-Brandt-Haus und einer ausgelagerten Wahlkampfzentrale geben. Ich freue mich auf die Vertrauensleute des Kandidaten, die wir an zentraler Stelle in unsere Strukturen integrieren, damit die Kampagne wirklich aus einem Guss ist und wir einen richtigen Schub nach vorne machen.

Zum rumpeligen Start gehört auch die Debatte über seine Nebenverdienste. War es geschickt, wie er da agiert hat?

Steinbrück hat sich allen Regeln unterworfen, die es dazu in Deutschland gibt. Er hat den Banken nicht nach dem Mund geredet, sondern seine kritischen Thesen in Vorträgen ausgebreitet. Er hat die Honorare sauber angegeben und versteuert. Steinbrück will nun die Einkünfte offenlegen. Ich verstehe daher die Aufregung nicht. Unabhängig davon aber war die SPD nie zufrieden mit den bisherigen Transparenzregeln für Bundestagsabgeordnete. Wir haben in der Vergangenheit mehrere Initiativen dazu gestartet. Die großen Bremser für mehr Transparenz sitzen bei den Regierungsfraktionen. Und auch die Mehrheit der Abgeordneten mit Nebenverdiensten kommt aus der Union und der FDP.

"Die FDP ist handwerklich und politisch leer und verbraucht"

Das macht Sie skeptisch in Bezug auf deren Bereitschaft zu schärferen Regeln?

Sagen wir so: Ich bin gespannt, ob Union und FDP nun auch bereit sind, die Transparenz herzustellen, die sie aus durchsichtigen Gründen von Steinbrück fordern, nachdem sie über Jahre mehr Transparenz blockiert haben.

Eigentlich wollten Sie ja erst die Inhalte klären, über die Rente streitet die SPD noch. Ist die Haltegrenze für das Rentenniveau von 43 Prozent im Jahr 2030 unantastbar oder wird das in einem Kompromiss noch höher ausfallen können?

Wir werden weiter in der Partei dafür werben, dass unsere Vorschläge zur Erwerbsminderungsrente und zur Solidarrente das wirksamste Mittel im Kampf gegen Altersarmut sind. Ich sehe die Frage abstrakter Rentenniveau-Punkte nicht als zentral an. Viel entscheidender ist die Frage: Wie viel Prozent von was? Und das wird über die Lohnpolitik entschieden. Deshalb müssen wir die Ursachen von Armutsrenten bekämpfen, und das sind nun mal Niedriglöhne und Arbeitslosigkeit. Ich weiß, dass Teile der Partei das anders sehen, daher werden wir in den nächsten Wochen weiter darüber diskutieren. Ich bin sicher, wir werden uns da aufeinander zu bewegen und eine gute Lösung finden.

Das heißt, auch die Vertreter der 43 Prozent müssen sich bewegen?

Das ist die logische Folge meiner Aussage. Aber ich möchte dem Kompromiss nicht vorgreifen.

Frau Nahles, die SPD fürchtet nichts so sehr wie eine erneute Juniorpartnerschaft in einer großen Koalition unter Angela Merkel. Wäre, gesetzt den Fall, die FDP kommt wieder in den Bundestag, dann nicht eine Ampel die bessere Alternative?

Nein. Die FDP hat sich als Regierungspartei entlarvt, sie ist handwerklich und politisch leer und verbraucht. Wir werden auch in der kommenden Legislaturperiode keine inhaltlich klar aufgestellte FDP erleben. Wir haben inhaltlich zu wenig Schnittmengen – anders als etwa vor einigen Jahren in meinem Heimatland Rheinland-Pfalz.

Und wenn es für Rot-Grün nicht reicht?

Wir streben eine klare Alternative zu Schwarz-Gelb an, wir wollen die Koalition mit größter Tatkraft und inhaltlichen Schnittmengen, das ist Rot-Grün. Nur wenn wir all unsere Kraft für das einsetzen, was wir wollen, werden wir es auch erreichen.

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