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Die Koalition schafft mit ihrer Reform eine Zweiklassengesellschaft bei der Rente.

© dpa

Andrea Nahles Rentenkonzept im Überblick: Früher, mehr und teurer

Arbeitsministerin Andrea Nahles hat ihr Rentenkonzept vorgelegt. Bisher machen hauptsächlich die Kosten Schlagzeilen: 60 Milliarden Euro mehr bis 2020. Doch was ändert sich?

Nach den Endlos-Streitereien der Vorgängerregierung hat Arbeitsminister Andrea Nahles (SPD) bei der anvisierten Rentenreform nun richtig Dampf gemacht. Gerade mal vier Wochen benötigte sie, um das Großprojekt auf den Weg zu bringen. Am Donnerstag wurde der „Entwurf eines Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung“ an die zuständigen Ressorts verschickt, am 29. Januar soll ihn das Bundeskabinett billigen. Und bis Juli soll die milliardenschwere Reform dann auch von Bundestag und Bundesrat beschlossen sein und in Kraft treten können. Vorgesehen sind eine verbesserte Anerkennung von Kindererziehungszeiten, eine abschlagsfreie Rente ab 63 für langjährig Versicherte, höhere Renten für Erwerbsgeminderte sowie mehr Geld für Reha- Leistungen. Außerdem hat sich die Koalition vorgenommen, die Renten von Geringverdienern, die 40 Jahre lang eingezahlt haben, vom Jahr 2017 an auf bis zu 30 Entgeltpunkte aufzustocken. Das entspricht derzeit etwa einer Monatsrente von 850 Euro.

Wie viel bringt die neue Mütterrente?

Dass die Erziehungsleistung für Kinder, die vor 1992 geboren wurden, besser honoriert werden soll, war ein Versprechen der Union. Im Westen erhöht sich die Rente dadurch pro Kind um gut 28 Euro im Monat, im Osten um knapp 26 Euro. Ältere Mütter oder Väter erhalten nicht mehr nur einen, sondern zwei Entgeltpunkte gutgeschrieben. Sie sind damit zwar immer noch schlechter gestellt als Jüngere, die für die gleiche Leistung drei Rentenpunkte erhalten. Doch aus Kostengründen sei die völlige Gleichstellung unabhängig vom Zeitpunkt der Geburt nicht machbar gewesen, heißt es im Entwurf.

Schließlich handelt es sich schon so um den dicksten Brocken. 6,7 Milliarden Euro pro Jahr wird die Aufstockung dem Ministerium zufolge von jetzt auf gleich verschlingen. Deshalb soll wenigstens beim Prozedere gespart werden: Um nicht 9,5 Millionen laufende Renten neu berechnen zu müssen, wird die Aufstockung ab dem 1. Juli schlicht als Zuschlag bezahlt. Zeitliche Verzögerungen dürfte es aufgrund der Masse dennoch geben. Wer das Geld erst Monate später auf dem Konto hat, braucht sich aber nicht zu sorgen. Der Anspruch gilt rückwirkend.

Wer profitiert von der Rente mit 63?

Wer 45 Jahre lang Rentenbeiträge gezahlt hat, kann, so hat es die SPD durchgesetzt, künftig schon mit 63 Jahren abschlagsfrei in Rente gehen. Die übliche Kürzung – für jeden vorgezogenen Monat 0,3 Prozent – entfällt. Allerdings wird auch aus der Rente mit 63 bis zum Jahr 2029 wegen der verlängerten Lebensarbeitszeit für alle schrittweise eine mit 65. Angerechnet werden dabei, wie schon bei der bisherigen „Rente für besonders langjährig Versicherte“ ab 65 – neben Pflichtbeiträgen auch Kindererziehungszeiten bis zum zehnten Lebensjahr. Phasen der Arbeitslosigkeit werden ebenfalls berücksichtigt – allerdings nur, wenn das frühere Arbeitslosengeld und heutige Arbeitslosengeld I bezogen wurden. Hartz IV-Empfänger dagegen bleiben außen vor. Ursprünglich hatte es geheißen, dass wenigstens die fünf Jahre von 2005 bis 2010, in denen für sie Mini-Beiträge gezahlt wurden, angerechnet werden sollten. Und auch die ursprüngliche Koalitionsabsprache, wonach generell bis zu fünf Jahre Arbeitslosigkeit berücksichtigt werden sollten, ist vom Tisch.

Es sei darum gegangen, eine rentenpolitisch saubere Lösung hinzubekommen, hieß es unter Regierungsexperten. Und dass niemals vorgesehen gewesen sei, Langzeitarbeitslose von der Regelung für langjährige Versicherte profitieren zu lassen. Zeiten des Bezugs von Kurzarbeitergeld, Schlechtwettergeld oder Insolvenzgeld werden jedoch ebenso berücksichtigt wie längere Umschulungen.

Die Reform wird bis 2030 etwa 160 Milliarden kosten

Was ändert sich für Erwerbsgeminderte?

Die Verbesserungen für Menschen, die gesundheitlich nicht bis zur Rente durchhalten, waren – weil überfällig – schon unter Schwarz-Gelb eingetütet, die damalige Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) wollte allerdings Reformen nur im Gesamtpaket. Nun also wird wie vereinbart die Erwerbsminderungsrente so berechnet, als ob die Rentner bis zum Alter von 62 Jahren Beiträge bezahlt hätten. Vorher lag die so genannte Zurechnungszeit bei 60 Jahren. Nach Berechnungen der Rentenversicherer bringt das den Betroffenen 40 Euro mehr. Sie haben es nötig, denn ihre Bezüge „sinken seit Jahren erheblich“, wie es im Gesetzentwurf heißt. im Schnitt liegen sie derzeit bei 600 Euro im Monat. Mehr Geld gibt es darüberhinaus auch durch eine andere Bewertung der letzten vier Jahre vor Eintritt der Erwerbsminderung. Künftig zählen sie nicht mit, wenn sich dadurch der Rentenanspruch verringern würde.

Was kostet die geplante Rentenreform und wie wird sie finanziert?

Den Prognosen zufolge summieren sich die Kosten bis 2020 auf 60 und bis 2030 auf 160 Milliarden Euro. Der rentenpolitische Sprecher der Grünenfraktion, Markus Kurth, nannte dies „reinsten Irrsinn“. Am teuersten kommt die Mütterrente – die Jahresausgaben dafür sinken von anfangs 6,7 Milliarden auf 6,1 Milliarden im Jahr 2030. Die Kosten der Rente ab 63 steigen bis dahin von jährlich 1,9 auf 3,1 Milliarden. Und für höhere Erwerbsminderungsrenten werden jährliche bis zu 2,1 Milliarden Euro benötigt. Doch der große Streit darüber, ob nicht zumindest die Mütterrente vom Steuerzahler übernommen werden sollte, scheint beigelegt. Zumindest in dieser Legislatur sollen für diese familienpolitische Leistung, wie von der Union gewünscht, allein die Beitragszahler geradestehen. Die SPD, die das nicht einsehen wollte, hat klein beigegeben – allerdings nur gegen das Versprechen, dass es ab 2019 einen Steuerzuschuss obendrauf geben soll. Laut Gesetzentwurf beteiligt sich der Bund dann „mit zusätzlichen Mitteln, die bis zum Jahr 2022 stufenweise auf rund zwei Milliarden Euro jährlich aufwachsen“. Der große Rest kommt aus den Rücklagen der Rentenkasse (derzeit 31 Milliarden Euro) und aus dem Verzicht auf die eigentlich fällige Beitragssenkung. Bis Ende 2018 zahlen Arbeitnehmer und Arbeitgeber nun weiter 18,9 statt der in Aussicht gestellten 18,3 Prozent – und für 2019 ist ein Sprung auf 19,7 Prozent vorgesehen. 2025 soll der Rentenbeitrag dann 20,8 und fünf Jahre später 22 Prozent betragen.

Für die Wohltaten zur Kasse gebeten werden zudem die künftigen Rentner. Dem Gesetzentwurf zufolge sinkt das so genannte Sicherungsniveau, das die Rentenhöhe eines Durchschnittsverdieners nach 45 Beitragsjahren im Vergleich zum durchschnittlichen Arbeitsentgelt beschreibt, aufgrund der höheren Ausgaben schneller als bislang prognostiziert. Statt der versprochenen 44,4 Prozent im Jahr 2030 sollen es nun nur noch 43,7 Prozent sein. Allerdings muss auch der Bund für die ausgefallene Beitragssenkung büßen. Weil seine Zahlungen an die Beitragshöhe gekoppelt sind, hat er der Rentenkasse ab 2014 jährlich knapp 1,5 Milliarden Euro mehr zu überweisen.

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