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Politik: Angebote statt Verbote

Psychologen in die Schulen, Videospiele auf den Lehrplan – Deutschland hat Nachholbedarf

Von
  • Matthias Schlegel
  • Carsten Werner

Als im April 2002 der 19-jährige Robert Steinhäuser in Erfurt bei dem bislang schlimmsten Amoklauf in einer deutschen Schule 16 Menschen und sich selbst erschossen hatte, forderten Pädagogen und Politiker, Soziologen und Juristen einschneidende Maßnahmen. Damals wurden die Waffengesetze verschärft. Auch nach dem aktuellen Fall in Emsdetten wird jetzt wieder ein Verbot von Computer-Gewaltspielen debattiert, werden ein verbesserter Einsatz von Schulpsychologen und mehr Aufmerksamkeit für auffällige Schüler gefordert.

An jeder Schule ein Psychologe – das ist für den Präsidenten des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, eine populäre und berechtigte Forderung, die nie umgesetzt wurde: In Deutschland kommt auf 12 500 Schüler nur ein Psychologe, in Berlin immerhin doppelt so viele. Die Bundesrepublik liegt mit dieser Relation unter den OECD-Staaten auf dem vorletzten Platz vor Malta. In Skandinavien und Russland liegt das Verhältnis bei 1000:1.

Die Schule müsse veränderte Aufträge bekommen, sagte die Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Landesverbandes Schulpsychologie, Ulla Scheibe- Wächter dem Tagesspiegel. Habe bislang das Lehren und Lernen im Vordergrund gestanden, müsse künftig mehr Wert auf Erziehen und Beraten gelegt werden. „Das steht zwar jetzt schon in den Richtlinien“, sagte sie. „Doch welcher Lehrer wird darin denn schon ausgebildet?“ Der Auftrag der Lehrer müsse deutlich verändert oder an den Schulen müssten multiprofessionelle Teams eingesetzt werden. Externe Dienste müssten schneller, routinierter und umfassender in Anspruch genommen werden können. Sie könne sich vorstellen, dass Förderlehrer für leistungsschwache Schüler an den Schulen arbeiten, die nicht in den üblichen Unterricht eingebunden seien.

Auch Scheibe-Wächter beklagte, dass die personelle Ausstattung mit Schulpsychologen den realen Anforderungen nicht gerecht werde: In Nordrhein-Westfalen gibt es nur 200 – im Durchschnitt also einen für 13 000 Schüler. Sie kämen nur auf Anforderung der Lehrer oder Eltern zum Einsatz. Für die sei aber kaum zu unterscheiden, welcher Schüler eine normale Entwicklungskrise durchmache und bei wem sich Gefahrenpotenziale zeigten: „Ich war dieser Tage in einer Hauptschule, da sagten die Lehrer: Manchmal haben wir das Gefühl, hier sitzen Zeitbomben“, sagte die Schulpsychologin.

Der Medien- und Kulturwissenschaftler Stefan Krempl, Autor des Computermagazins „c’t“, fordert: „Computerspiele gehören auf die Lehrpläne der Schulen.“ Reflexionen über die Wirkung dieser „neuen Kulturtechnik“ seien wirksamer als ein Verbot, sagte er dem Tagesspiegel. Neue Gesetze blieben „ein rein symbolischer Akt ohne Durchsetzungskraft, weil das internationale Internet ohne internationales Recht gar nicht regulierbar ist.“

In den USA wird das Internet direkt zur Verbrechensbekämpfung genutzt: Nachahmer des Schulmassakers von Columbine 1999 wurden enttarnt, weil sie dort nicht als nervige Angeber ignoriert wurden. Wären die jahrelangen Drohungen des Täters von Emsdetten ebenso ernst genommen worden, hätte auch seine Tat vielleicht verhindert werden können.

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