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In diesem Studio werden die Kontrahenten Angela Merkel und Peer Steinbrück am Sonntagabend aufeinander treffen.

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Angela Merkel gegen Peer Steinbrück: Was kann das TV-Duell?

Noch drei Wochen sind es bis zur Bundestagswahl. Die SPD ist in den Umfragen weit von einem Sieg entfernt. An diesem Sonntag findet das einzige TV-Duell zwischen Herausforderer und Kanzlerin statt. Die letzte Chance für Steinbrück? Was von der Debatte zu erwarten ist – und was nicht.

Von Antje Sirleschtov

Rein empirisch betrachtet hat Peer Steinbrück an diesem Sonntag nur den Hauch einer Chance. Nicht, dass der SPD-Kanzlerkandidat das Duell mit der Amtsinhaberin Angela Merkel (CDU), nicht für sich entscheiden könnte. Steinbrück ist ein begabter Rhetoriker, es kann ihm durchaus gelingen, als Sieger aus dem Duell hervorzugehen. Aber hilft ihm das auch ins ersehnte Kanzleramt? In den Umfragen zur Bundestagswahl liegt er weit zurück. Drei Wochen vor der Wahl will der Trend kein Genosse sein. Das aber müsste er, wollte Steinbrück mit dem TV-Duell den Marsch in Richtung Wahlsieg beginnen. Denn das lehrt die Erfahrung: Schaut man auf die bisherigen drei TV-Kanzler-Duelle zurück, dann steht fest: So unterschiedlich sie auch waren, den Trend vermochten die Fernsehinterviews in keinem Wahljahr umzudrehen. Ob Gerhard Schröder (SPD) gegen Edmund Stoiber (CSU) 2002, Schröder gegen Angela Merkel (CDU) 2005 oder Merkel gegen Frank-Walter Steinmeier (SPD) 2009: Immer gab es vor den Fernsehauftritten einen politischen Trend, wenngleich auch nicht immer schon in Zahlen eindeutig messbar. Und nie ist es einem Duellanten – ob er schon im Kanzleramt saß oder erst hineinwollte – gelungen, durch seinen Auftritt die Stimmung im Land so gravierend herumzudrehen, dass am Wahlabend aus gefühlten Verlierern Sieger oder umgekehrt wurden.

Die Moderatoren des TV-Duells.
Die Moderatoren des TV-Duells.

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Beim TV-Duell haben Merkel und Steinbrück 90 Minuten lang Chance zu punkten und zu enttäuschen

Aber was zählt schon die Empirie, wenn der Erfahrungsschatz mit gerade einmal drei Vorbildern so mager ist? Betrachtet man die Lage in diesem Herbst realistisch, dann kann die Bundeskanzlerin noch lange nicht von einer gesicherten Mehrheit sprechen und der Herausforderer mit Fug und Recht auf die Erfahrung aus der Landtagswahl in Niedersachsen verweisen, wo Rot-Grün zum Schluss allen Unkenrufen zum Trotz den Sieg davongetragen hat. Steinbrück und Merkel werden an diesem Wochenende 90 Minuten vor einem Millionenpublikum stehen, das auch Tage danach noch über Höhen und Tiefen des Gesprächs in den Medien lesen und hören wird. Chancen zu punkten und die Gefahr zu enttäuschen gibt es also genügend – für beide.

Alles in allem ist der Einfluss der TV-Duelle auf den Ausgang der Bundestagswahl allerdings begrenzt, wie Forscher immer wieder betonen. Zwar sehen vergleichsweise viele, auch politisch wenig interessierte Wähler die Auseinandersetzung am Sonntagabend. Das hilft den Politikern, ihren Kampf um Stimmen ins Bewusstsein auch der Desinteressiertesten zu rücken und damit allgemein die heiße Phase des Wahlkampfes einzuläuten.

Die Wirkung des TV-Duells auf die Wahlentscheidung ist nicht sonderlich hoch

Aber die Wirkung der Duelle auf Wahlentscheidungen ist nicht besonders hoch. Seit 2002 laden deutsche Wissenschaftler um Marcus Maurer und Carsten Reinemann zu jedem Duell vor Bundestagswahlen Probanden ein und testen deren Wahrnehmungen. Ihr Befund: Im Kern kann es Amtsinhaber und Herausforderer nur gelingen, die bereits vorhandenen politischen Präferenzen zu bestätigen. Dass sozialdemokratisch gebundene Wähler nach dem Duell keine Lust mehr auf ein Kreuzchen hinter der SPD hätten, oder umgekehrt, kommt indes nur selten vor. Allenfalls aus dem großen Lager der Unentschlossenen können die Kontrahenten den einen oder anderen durch ihren Auftritt auf ihre Seite ziehen. Vorteil für Steinbrück? Das könnte sein. Bisher ist der Kandidat unter politisch nicht besonders Interessierten eher negativ besetzt, man kennt allenfalls seine Fettnäpfchen. Gut möglich also, dass Steinbrück sein Image mit einem überzeugenden Auftritt polieren und Wähler für sich gewinnen kann.

Die Gefahr für den Herausforderer liegt allerdings genauso nahe: Ein medial überzeugender Auftritt der Kanzlerin kann genauso gut dazu führen, dass unionsaffine Wähler zur Wahlurne gehen, obgleich sie das wegen des doch eigentlich auch ohne ihre Stimme großen Umfragevorsprungs der Union vor dem Duell nicht vorhatten. Am Ende zählt für beide vor allem eines: Sie müssen ihre eigenen Unterstützer überzeugen, denn die werden in ihrer Wahlentscheidung durch ein gutes Abschneiden ihres Wunschkanzlers ermuntert, am 22. September zur Wahl zu gehen oder eher davon abgehalten, wenn der eigene Kandidat beim Duell mies aussieht.

Auseinandersetzungen über Steuerpolitik findet man eher im Biergarten

Edmund Stoiber und Gerhard Schröder, 2002: Stoiber empfahl Freising als Vorbild für gute Politik, Schröder konterte, er wolle doch nicht „Bundeskanzler von Freising“ werden. Das war einer der entscheidenden „Punchs“.
Edmund Stoiber und Gerhard Schröder, 2002: Stoiber empfahl Freising als Vorbild für gute Politik, Schröder konterte, er wolle doch nicht „Bundeskanzler von Freising“ werden. Das war einer der entscheidenden „Punchs“.

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Wer hofft, am Sonntag tiefschürfende Auseinandersetzungen über die Europa- oder Steuerpolitik präsentiert zu bekommen, sollte lieber in den Biergarten gehen. Die Berater und Trainer werden Merkel und Steinbrück hinreichend eingeschärft haben, das Publikum nicht mit technischem Tiefsinn zu langweilen. Denn das, so lehrt die Erfahrung, will keiner hören. Als kompetent wird eingestuft, wer möglichst allgemein verständlich seine politischen Ziele und Argumente vortragen kann.

Keinem ist das bisher wohl überzeugender gelungen als Gerhard Schröder im Duell mit Edmund Stoiber 2002. Klar, Schröder hatte nicht nur den Vorteil des Amtsinhabers und noch dazu die Mehrheit der Bevölkerung bereits hinter sich, weil er der amerikanischen Regierung bei ihrem Waffengang in den Irak die Stirn geboten hatte. Der Trend war also auf seiner Seite. Doch erst sein verständlicher Vortrag der Gründe für das Nein zum Irakkrieg und die anschließende Aufforderung an den Herausforderer sich „klar zu bekennen – Ja oder Nein“ – hat ihn punkten lassen. Stoiber verhaspelte sich und musste sich zum Schluss von Schröder auch noch ermahnen lassen, doch jetzt mal über „ernsthafte Probleme“ zu sprechen, nämlich über „Krieg oder Frieden“. Alternativen, die jeder versteht. Und die Schröder die Sympathien zutrugen. Wer will schließlich Krieg statt Frieden und am Ende einen Kanzler (Stoiber), der auf diese Frage nicht klar antworten kann?

Angela Merkel und Gerhard Schröder, 2005: Anders als Stoiber wollte Merkel nur ein Duell mit dem „Medienkanzler”. Der machte seiner Frau während der Sendung eine Liebeserklärung – was bei den Zuschauern nicht nur gut ankam.
Angela Merkel und Gerhard Schröder, 2005: Anders als Stoiber wollte Merkel nur ein Duell mit dem „Medienkanzler”. Der machte seiner Frau während der Sendung eine Liebeserklärung – was bei den Zuschauern nicht nur gut ankam.

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Wie man ein TV-Duell verlieren und doch die Wahl gewinnen kann

Nicht, dass Edmund Stoiber den Kommunikationslehrsatz von der Einfachheit der Argumente 2002 nicht beherzigt hätte. Auch er bot eine einfache Entscheidung an: „Am 22. September geht es um eine (ökonomische) Richtungsentscheidung: aufwärts oder abwärts“. Aber: Dem bayerischen Ministerpräsidenten ist es nicht gelungen, sich selbst eindeutig mit „auf-“ und den SPD-Kanzler mit „abwärts“ in Verbindung zu bringen. Was drei Wochen nach dem Duell folgte, ist Geschichte: Gerhard Schröder gewann die Wahl. Und das, obwohl er eine Bilanz mit vier Millionen Arbeitslosen auf den Schultern trug und vorher gesagt hatte, dass es ein Kanzler mit so einem Heer von Arbeitslosen nicht „verdient hat wiedergewählt zu werden“. Stoiber hatte daran mehrmals mit Nachdruck im TV-Duell erinnert. Allein: Die Leute am Fernsehschirm hat es nicht interessiert.

Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, 2009: Ein eher zahmes Duell, das keinen Sieger erbrachte – weshalb am Montag mit großem Aufwand um die Deutungshoheit gekämpft wurde: Wer hat die bessere Figur gemacht?
Angela Merkel und Frank-Walter Steinmeier, 2009: Ein eher zahmes Duell, das keinen Sieger erbrachte – weshalb am Montag mit großem Aufwand um die Deutungshoheit gekämpft wurde: Wer hat die bessere Figur gemacht?

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Wie man ein Kanzlerduell verlieren und dann doch die Wahl gewinnen kann, das war 2005 zu besichtigen. Kanzler Schröder hat, man darf das sagen, wirklich alle Register gezogen. Er war staatsmännisch, ohne herablassend zu wirken. Er gab sich gelassen und gleichzeitig kraftvoll, nie machohaft gegen seine Herausforderin. Angela Merkel wollte es einfach nicht gelingen, sich mit ihren Themen in den Vordergrund zu bringen. Vor allem, weil es Schröder gelang, die radikale Steuerreform des Heidelberger Professors Paul Kirchhof so darzustellen, als sei das Merkels politisches Ziel, zu dem sie sich bislang nur nicht ehrlich bekennen wolle. Allein die klare Position der CDU-Vorsitzenden zur Ablehnung eines EU-Beitritts der Türkei verschaffte ihr Sympathien. Schröders seinerzeitiger „Griff in die Tränenkiste“ übrigens hat nicht funktioniert. Mitten im TV-Duell hatte der Kanzler seiner Ehefrau eine Liebeserklärung gemacht, was bei den Profis unter den Zuschauern (je nach Lager) Entsetzen oder Jubel ausgelöst hatte. Den bewussten Einsatz der Emotionen hatte, wie sich später herausstellte, aber kaum ein Zuschauer wirklich registriert. Und bei denen, die es gemerkt haben, löste er eher Kopfschütteln aus: Schröder, der Medienkanzler, übertreibt mal wieder maßlos. Angela Merkel lag vor dem Duell 2005 in den Umfragen klar vorn, was sich nach dem für sie verlorenen Duell kurzfristig änderte. Am Ende jedoch konnte sie, wenn auch knapp, die Wahl für sich entscheiden.

Was können Steinbrück und Merkel aus den vorherigen Duellen lernen?

Was aber können Steinbrück und Merkel aus den vorigen Duellen für ihren Auftritt an diesem Sonntag lernen? Für Merkel ist es leichter. Sie hat den Amtsbonus, die SPD hat ihren Europakurs bisher mitgetragen, auch in der Frage eines Militäreinsatzes in Syrien gibt es keine großen Unterschiede. Und ökonomisch gesehen kann Merkel auf gute Wachstumsraten, sinkende Staatsschulden und eine niedrige Arbeitslosigkeit hinweisen. Es wird für sie also darauf ankommen, ihren Kurs der überlegten und ruhigen Staatsführerin darzustellen, ohne den Eindruck von Langeweile zu verbreiten.

Peer Steinbrücks Aufgabe ist da ungleich schwieriger. Es muss ihm einerseits gelingen, sich und seine SPD von der Politik der Kanzlerin abzugrenzen. Das war im Nachhinein gesehen wohl das größte Defizit seines Vorgängers Frank-Walter Steinmeier, dem nach vier Jahren großer Koalition beim TV-Duell 2009 noch nicht einmal aufgefallen war, dass er von den Moderatoren als „Vizekanzler“ und nicht als Herausforderer Merkels angesprochen wurde und damit während fast des gesamten Duells wie der Stellvertreter aussah, der am Stuhl der Chefin sägt – und dann die Wahl auch haushoch verlor.

Abgrenzung muss Steinbrück also gelingen, und zwar ohne dass es „rockt“. Denn nach Revolution steht den wenigsten Deutschen gerade der Sinn. Aber das wird nicht reichen. Am Ende wird über Steinbrücks Performance entscheiden, ob es ihm gelingt zu vermitteln, dass es mit ihm an der Spitze einen Zusatznutzen für alle gibt: nämlich neben der Stabilität eine soziale Balance, mehr Solidarität. Ob der Kandidat an diesem Sonntag die Zweifler an seiner Person überzeugen, seine Anhänger begeistern und dann auch noch bis zum 22. September das Ruder herumreißen kann, oder Merkel weitere vier Jahre regieren wird. Das steht natürlich in den Sternen. Eines aber steht schon jetzt fest: Mit guter Politik allein gewinnt man keine Wahlen. Man braucht auch jemanden, der sie mitreißend verkaufen kann.

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