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Treffen unter türkischen Fahnen: Bundeskanzlerin Angela Merkel spricht im Präsidentschaftspalast in Ankara den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

© dpa

Angela Merkel in der Türkei: Konfliktreiche Stunden im Präsidentenpalast

Unproblematisch waren Besuche der Bundeskanzlerin beim türkischen Präsidenten Erdogan nie. Die aktuelle Visite Merkels zeigt, wie groß die Kluft zwischen den beiden Ländern inzwischen ist.

Die Kulisse war prächtig, transportierte aber eine unmissverständliche Botschaft. Als Bundeskanzlerin Angela Merkel und der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Donnerstag nach einem mehr als zweistündigen Gespräch in Erdogans Palast in Ankara die Presse empfingen, saßen sie auf mit weißer Seide bespannten Sesseln vor dem sternengeschmückten Siegel des türkischen Präsidialamts. Hinter beiden Politikern stand jeweils eine Fahne – und zwar je eine türkische: Die deutsche Flagge fehlte. Nur auf einem Tischchen war eine kleine Bundesfahne zu sehen.

Leicht waren Merkels Besuche bei Erdogan noch nie. Diesmal aber knirschte es noch mehr als sonst, auch weil Merkel wie Erdogan vor wichtigen Wahlen in ihren Ländern stehen und vor dem jeweiligen Publikum zu Hause jeden Eindruck der Schwäche vermeiden wollten.

Erdogans Jagd auf Regierungskritiker, die Drangsalierung der türkischen Medien und die lauten Forderungen nach Auslieferung von angeblichen Putschisten aus Deutschland brachten Merkel in Berlin die Frage ein, warum sie überhaupt nach Ankara reisen wolle. Oppositionschef Kemal Kilicdaroglu warf Merkel vor, sich vor der Volksabstimmung über das Präsidialsystem in zwei Monaten als Wahlhelferin für Erdogan zu betätigen.

Um dem Druck etwas entgegenzusetzen, traf sich Merkel am Abend in Ankara mit Kilicdaroglu und anderen Oppositionsvertretern. Darunter war der Kurdenpolitiker Idris Baluken, der erst vor wenigen Tagen nach dreimonatiger Haft aus dem Gefängnis entlassen worden war. Die deutsche Seite verbreitete demonstrativ Fotos der Zusammenkünfte, die türkischen Behörden konterten auf ihre Art: Die Justiz verfügte die Zwangsvorführung von Balukens Kollegin Feleknas Uca – die Politikerin stammt aus Celle und besitzt sowohl die türkische als auch die deutsche Staatsbürgerschaft.

Beim Treffen von Merkel und Erdogan vor den türkischen Fahnen forderte die Kanzlerin den Präsidenten auf, der Opposition eine Chance zu geben und die Gewaltenteilung zu wahren. „Opposition gehört zu einer Demokratie dazu“, sagte sie. Zudem müsse die Meinungsfreiheit geschützt werden, sagte sie mit Blick auf die mehr als hundert inhaftierten türkischen Journalisten. Sie erwähnte auch die Schwierigkeiten deutscher Journalisten, in der Türkei eine offizielle Akkreditierung durch die Regierung zu erhalten. Der türkische Präsident war unbeeindruckt. Das Präsidialsystem werde die Gewaltenteilung schützen, sagte er – obwohl die Pläne das von Erdogan favorisierte Ein-Mann-System vorsehen, in dem der Präsident trotz Volksvertretung und Justiz weitgehend schalten und walten kann, wie er will.

Merkel verwies auf mutmaßliche Spitzeltätigkeiten von Imamen in Deutschland

Bei der türkischen Forderung nach Auslieferung von Anhängern des Predigers Fethullah Gülen, der von Erdogan für den Putschversuch des vergangenen Jahres verantwortlich gemacht wird, gab es ebenfalls keine Annäherung. Merkel verwies darauf, dass deutsche Gerichte nun einmal handfeste Beweise brauchten. Erdogans Beschwerden über das Nein zu Auslieferungen setzte sie den Hinweis auf die mutmaßlichen Spitzeltätigkeiten staatlich-türkischer Imame in Deutschland entgegen.

Hinter verschlossenen Türen ging es laut türkischen Medienberichten so ruppig zu, wie es die angespannte Atmosphäre bei der Pressekonferenz vermuten ließ. Erdogan wies demnach den Spitzelvorwurf gegen die türkischen Imame zurück und kritisierte, Deutschland verschließe vor den Umtrieben türkeifeindlicher Terrororganisationen die Augen, was der Partnerschaft zwischen beiden Ländern nicht angemessen sei. Dass Erdogans klare Worte an die Medien durchsickerten, dürfte ebenfalls mit dem Wahlkampf vor dem Verfassungsreferendum zu tun gehabt haben.

Dasselbe galt für eine öffentliche Zurechtweisung Merkels durch Erdogan vor der Presse. Er verwahrte sich gegen die von der Kanzlerin benutzte Bezeichnung des „islamistischen Terrorismus“, weil Islam „Frieden“ bedeute und nichts mit Terror zu tun habe. Als Muslim könne er diese Wortwahl nicht akzeptieren, gab er Merkel zum Abschied mit auf den Weg.

Das anschließende Gespräch der Kanzlerin mit Erdogans Ministerpräsidenten Binali Yildirim blieb zwar ebenfalls ohne Durchbruch. Doch die Stimmung war weniger verkrampft als im Präsidentenpalast. Zum vielleicht einzigen Mal an diesem Tag brachte Merkel bei einer Aussage Yildirims sogar ein Lächeln zustande. Auf eine Frage nach dem Wahlhelfer-Vorwurf an Merkel entgegnete der Premier, er sehe kein Problem: „In Deutschland gibt’s eine Wahl – da habe ich keine Stimme. Bei uns gibt’s ein Referendum – da hat die Frau Kanzlerin keine.“

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