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Bundeskanzlerin Angela Merkel am Freitag in Templin.

© dpa

Angela Merkel in Templin: Freiheit, die sie meint

Für Angela Merkel war es ein Auftritt an einem für sie besonderen Ort. Zum Reformationstag trat die Bundeskanzlerin im brandenburgischen Templin an die Kanzel und richtete eindringliche Worte an die Gemeinde.

Von Robert Birnbaum

Wie sie sich fühle an diesem Ort, fragt einer aus der Gemeinde, und Angela Merkel sagt: „Ich fühl' mich an der falschen Stelle.“ In der Maria-Magdalenen-Kirche in Templin hat sie früher da unten in den Bänken gesessen und dem Pastor zugehört, hier ist sie konfirmiert worden. Aber jetzt, als Kanzlerin, steht sie im Altarraum vor einem Mikrofon und soll sagen, wie das zusammengeht: Christ sein und Politiker.

Dass ist ein schwieriges Thema, die Gemeinde hat es vorher schon im Gottesdienst erfahren. Pfarrer Ralf-Günter Schein hat zum Reformationstag über die Bibelstelle gepredigt „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“. Schein hat dabei Zweifel angemeldet, dass Jesus Waffenexporte gut geheißen hätte. Andererseits hat sein Kollege Ralf Schwieger – mit Bart und Barrett Martin Luther nicht unähnlich – aus des Reformators Schriften zitiert: „Wer nicht kann durch die Finger sehen, der kann nicht regieren.“ Die altertümliche Formel meint so viel wie unser „Fünfe grade sein lassen“. Luther war Realist.

Das Recht, Fehler zu machen

Merkel könnte es sich also einfach machen. Aber sie wählt ein anderes Luther-Zitat zu ihrem Leitbild: „Von der Freiheit eines Christenmenschen.“ Gott hat den Menschen erschaffen, so wie er ist, mit Fehlern und mit dem Recht, Fehler zu machen, ohne dass er verdammt wird – für sie, sagt Merkel, stecke in diesem Glauben „ein unglaublicher Schutz“. Sie hätte auch sagen können: eine Befreiung. „Wir sollen nach Vollkommenheit streben. Aber wir sind es nicht.“

Also zum Beispiel bei Krieg und Frieden. Gleich die erste Frage aus der Gemeinde gilt den Waffenlieferungen an die Kurden im Irak. Merkel verteidigt die Entscheidung: „Wir helfen ihnen, damit sie anderen Menschen helfen können.“ Manche Kämpfer des „Islamischen Staats“ kämen ja sogar aus Deutschland – „da könn' wir nicht sagen, das geht uns nichts an!“

Oder zum Beispiel: Flüchtlinge. „Da fühlt sich keiner wohl bei“, sagt Merkel, wenn er Menschen vom Balkan zurückschicken müsse, weil sie einfach kein Asylrecht in Anspruch nehmen könnten. Aber Deutschland könne nicht alle Armen und Elenden aufnehmen. Ob die Regierung, fragt Pfarrer Schein dazwischen, sich aber nicht wenigstens für Auffanglager für Christen engagieren könne? Da wehrt Merkel sehr energisch ab: „Wir dürfen nicht die Verteidiger der Christenmenschen sein!“ Im Gegenteil – gerade weil Christen in diesen Ländern oft verfolgt würden, dürfe der Westen die Religion nicht selbst zum Maßstab machen, nicht mal zu dem der Fürsorge. „Für uns hat jeder die gleiche Würde, egal welchen Glaubens er ist“, sagt sie. Der Altarraum einer Kirche ist für eine Kanzlerin von Zeit zu Zeit womöglich doch der richtige Ort.

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