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10. April 2000: Nach ihrer Wahl zur neuen Vorsitzenden der CDU bedankt sich Angela Merkel bei den Delegierten des CDU-Bundesparteitages.

© Michael Jung/dpa

Angela Merkel überholt Konrad Adenauer: Die "Flüchtlingskanzlerin" hat sich eine neue Partei geschaffen

Mit dem heutigen Tag ist Angela Merkel länger CDU-Vorsitzende als Konrad Adenauer. Doch sie kann noch spektakulär scheitern. Ein Kommentar.

Es ist eine wichtige historische Etappe. Angela Merkel ist länger CDU-Bundesvorsitzende, als es der legendäre Konrad Adenauer war. 5633 Tage hatte er die damals neu gegründete Partei geführt, sie ist jetzt einen Tag länger an der Spitze. Adenauer war 90, als er dieses Amt abgab, Merkel ist 61. Sie kann noch mehr erreichen – oder aber, was gestern noch niemand erwartet hätte, spektakulär scheitern.

Denn die Geschichte erlaubt sich die feine Ironie, dass Merkel just an diesem Tag maximal entfernt ist von der CDU, wie die alte Republik sie einmal kannte und Adenauer sie formte. Merkel, die Führungsfigur Europas, die machtvollste Frau der westlichen Welt, ist nämlich jetzt für alle Welt die „Flüchtlingskanzlerin“. Und ihre anfangs bewunderte Flüchtlingspolitik wird zu einer Herausforderung, die die Union bedroht. Die CSU ist schon in heller Aufregung.

Gestern noch war nur die Frage, ob Merkel nicht bloß Adenauers 14 Jahre als Kanzler einholen kann, sondern sogar den Rekord von Helmut Kohl. Der regierte 16 Jahre lang. Merkel – die am 18. September zehn Jahre Regierungschefin ist –, muss dafür zur Bundestagswahl 2017 antreten, gewinnen, die volle Legislaturperiode bleiben. Gestern noch war ihr Sieg keine Frage. Heute fragt sich, ob ihre Flüchtlingspolitik der Union die Mehrheit der Bevölkerung über den gegenwärtigen Zeitpunkt hinaus sichert.

Vieles hat Merkel abgesichert. Die Partei hat sich unter ihr von Grund auf verändert. Sie ist keine christkonservative mehr, in Teilen nicht einmal mehr christdemokratisch. Nicht ohne Grund, um das Bild aufzugreifen, könnte sie SDU genannt werden, „Sozialdemokratische Union Deutschlands“. Und das scheint zu ihrem Segen zu sein, zu Merkels und der CDU. Einerlei, was die Konkurrenz von der SPD vorschlägt oder tut, es wird der Bundeskanzlerin und ihrer CDU gutgeschrieben. Bisher. Auch deshalb, weil Merkel Bilder für sich sprechen lässt. Bilder, auf denen sie eine gute Führungsfigur macht.

Alles vormals Linke hat sich die CDU einverleibt. Homoehe, Dosenpfand, Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, Einwanderungsgesetz, Mindestlohn, Abschied von der Wehrpflichtarmee, Ausstieg aus der Atomkraft … Schon diese unvollständige Liste ist eindrucksvoll. Sie zeigt: Merkel hat (sich) eine neue Partei geschaffen, eine Einheitspartei neuen Zuschnitts. Eine CDU amerikanischer Prägung, die deutsche Version der Demokraten, die ja teilweise konservativ sind: in den Südstaaten. Wie in Deutschland.

Ein neue Partei hat sie so geschaffen – und man dachte: auch ein neues Deutschland. Geeicht auf Pragmatismus, großer Aufregung abgeneigt. Vor allem darum konnte Merkel ihre Euro-Rettungspolitik überhaupt erst beginnen, den Atomausstieg und jetzt die Flüchtlingsaufnahme. Doch nichts davon ist beendet, und nichts davon wird am Ende ihrer Ära beendet sein. Merkels Politikstil wirkte lange wie ein Beruhigungsmittel. Aber die Wirkung hält nicht ewig an. Wie man gerade sieht.

Die Stimmung in der Flüchtlingsfrage ist flüchtig. Die Wahrheit ist konkret, Genossen, sagte Merkel einmal. Das ist wahr: Wenn sich Deutschland überfordert fühlt, und wenn die pragmatische Lösung nicht gelingt, dann wird Angela Merkel als Kanzlerin weder Konrad Adenauer noch Helmut Kohl einholen. Vom Überholen gar nicht erst zu reden.

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