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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

© dpa

Angela Merkel und die Flüchtlinge: Mut zum Mut

Angela Merkel wurde beim Thema Flüchtlinge so deutlich wie lange nicht. Warum das Vorgehen der sonst so vorsichtigen Kanzlerin besonders ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Was für ein Tag! Vor 25 Jahren unterzeichneten die Verhandlungsführer der beiden deutschen Staaten im Kronprinzenpalais in Berlin den Vertrag, der samt Anlagen auf fast 1000 Seiten die Vereinigung bis ins Detail regelte. Und just an diesem Jubiläumstag stellt sich die aus Ostdeutschland stammende Bundeskanzlerin in aller Öffentlichkeit, national wie international, dem Thema, das in einer Dimension und Komplexität eine ähnliche Herausforderung bedeutet. Nur diesmal für das vereinte Deutschland, das im besten Wortsinn einen nationalen Kraftakt vollbringen muss, denn es geht sowohl um den eigenen als auch Europas Umgang mit Flüchtlingen, die zu Tausenden kommen – und weiter kommen werden –, weil es dem alten Kontinent im weltweiten Vergleich so gut geht, und Deutschland in seiner Mitte sogar noch viel besser. 25 Jahre danach.

So wie damals verhandelt wurde, muss es auch heute gehen: kreativ, innovativ, unbedingt aufs Gelingen ausgerichtet, aber immer rechtsstaatlich. „Was uns leiten sollte, was mich bewegt“ – die Bundeskanzlerin hat einen, besser: ihren Handlungsrahmen dargestellt, und wer sie im Zusammenhang gehört hat, wird nicht umhin können, ihr großen Respekt zu zollen. Wie sie die Dimension des Geschehens aufgemacht hat, und welche Worte sie für die erschöpften und angstvollen Menschen auf ihrer Flucht gefunden hat, das zeigte, wie tief sie die Materie durchdrungen hat. Sowohl den gesetzlichen Rahmen – von den Artikeln, die zu Humanität und Wahrung der Menschenwürde verpflichten, bis hin zum Brandschutz in Zelten – als auch den zutiefst menschlichen Faktor. Darum war der eine Appell auch besonders, und besonders nachhaltig: Angela Merkel als lebender Beweis für deutsche Gründlichkeit ruft auf zu deutscher Flexibilität. In jeder von ihr beschriebenen Hinsicht.

Bis ins Detail

Und recht hat sie. Wie damals, wie vor 25 Jahren, geht es darum, die Lösungen voranzutreiben und sich nicht von kleinstteiligen Verordnungen bremsen zu lassen, wenn doch die Herausforderung so groß ist und schnelles Handeln verlangt. Oder, wenn deutsche Gründlichkeit und Rechtsstaatlichkeit es erfordern, diese dann immerhin in die Form von „Beschleunigungsgesetzen“ zu kleiden. Das liest sich vielleicht ironisch, ist es aber nicht. Denn der Bundeskanzlerin ist es ernst. Sie will überwinden – fast wörtlich so –, was Deutschland bei der Bewältigung dessen hindert, das sie klugerweise keine Krise nennt.

Dass es gelingen kann, zeigen ja auch die von Merkel zusätzlich herangezogenen Beispiele, die Bankenrettung in hoher Not, der Atomausstieg. Dem folgen ihre Argumente, ganz logisch, auch ihre klaren Worte gegen Hetze und Hass und die, die ihn säen. „Halten Sie Abstand“, fordert Merkel. Eine gelungene Formulierung: Sie beschimpft nicht, sie ordnet ein. Sie macht sich nicht gemein. Das sind Worte mit Autorität, nicht autoritäre. Oder vulgäre.

Nichts soll daran hindern, das Richtige zu tun. Das sie bis ins Detail beschreibt. Den Bundesinnenminister braucht Merkel da nur wie einen Staatssekretär: zum Abarbeiten ihrer Agenda. Die auch eine europäische ist, wie sich versteht, weil diese Partner ebenso wie die Bundesländer zum Gemeinsamen gewonnen werden müssen: zu beschleunigten Verfahren, zu fairer Kostenverteilung, Integration. Eine weltpolitische Komponente hat das Ganze wegen seines Ursprungs im Nahen und Mittleren Osten auch – womit die Kanzlerin gleichsam nebenbei ihr außenpolitisches Engagement auch in den Handlungsrahmen einbezogen hat.

Angela Merkel in der Jetztzeit: Mit sich im Reinen, was sie in die Lage versetzt, zu erklären, um was es (ihr) geht, wie ihr Deutschland sein soll. Das Land soll Mut zeigen. Aus dem Mund dieser vorsichtigen Regierungschefin klingt das geradezu konstitutiv – für ihre Politik von jetzt an. Der 25. Jahrestag des Einheitsvertrages war ein besonderer Tag für Angela Merkel. Ein Tag, an den sich auch ihre Opponenten noch erinnern werden.

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