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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei der Bundespressekonferenz.

© dpa

Angela Merkel und die Flüchtlingskrise: Was hat die Kanzlerin vor?

Angela Merkel schwört das Land angesichts der vielen Flüchtlinge auf Veränderungen ein - und warnt vor jeder Art von Fremdenfeindlichkeit.

Von Antje Sirleschtov

Einmal im Jahr stellt sich die Bundeskanzlerin den Fragen der Journalisten der Bundespressekonferenz. So ist es Tradition. Oft geht es dabei um viele unterschiedliche Themen der Innen- und Außenpolitik. In diesem Jahr geht es nur um ein Thema: Die Flüchtlingskrise. Angela Merkel schwört die Deutschen auf Grundlegende Veränderungen des Landes ein, lässt bei Fremdenfeindlichkeit kein Pardon zu und verspricht, die Bundesregierung werde nichts unversucht lassen, um der Krise Herr zu werden.

Welchen Stellenwert gibt Angela Merkel der Krise?

Für die Kanzlerin hat der Zustrom von Menschen nach Deutschland eine Dimension erlangt, die ähnliche Ausmaße wie die Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland hat: „Keine Naturkatastrophe, aber Katastrophen gibt es immer wieder.“ Sie appelliert bewusst an die Menschlichkeit der Deutschen, die „in geordneten Verhältnissen leben“ und sich oft nicht vorstellen könnten , wie es sei, bis zum „Zustand der völligen Erschöpfung“ und „in Angst um das Leben“ zu fliehen. So sieht Merkel die Flüchtlinge, die aus Bürgerkriegsgebieten wie Syrien in großer Zahl nach Deutschland kommen.

Daraus erwächst für Merkel eine „große Herausforderung“ für die Deutschen. Den Flüchtlingen gehöre die Zuwendung des Landes, sagt Merkel und betont: „Es gilt das Grundrecht auf Asyl“, das in der Verfassung verankert ist und das Grundrecht der Menschenwürde. Gleichwohl unterscheidet Merkel zwischen Menschen, die aus Kriegsgebieten kommen und solchen, die aus wirtschaftlicher Not Asyl in Deutschland beantragen. Sie hätten kaum Bleibeperspektiven und müssten in ihre Heimatländer zurückkehren, sagt Merkel. Wobei sie den Ländern Unterstützung zusagt.

Dass Deutschland mit der großen Zahl der Flüchtlinge – in diesem Jahr allein rund 800 000 – fertig werden kann, daran hat Merkel keinen Zweifel. Das Land habe sich mit den Heimatvertriebenen und den Gastarbeitern in seiner Geschichte „immer wieder verändert“, auch die Integration der Flüchtlinge werde gelingen. Ihr Motiv dabei sei: „Wir schaffen das.“ Deutschland sei wirtschaftlich stark, weltoffen und ein Land der Freiheit. „Die Welt sieht Deutschland als ein Land der Hoffnung und Chancen“, sagt Merkel. Und, dass das nicht immer so war. Wer mag, kann daraus auch lesen, dass Merkel die Bewältigung der Flüchtlingskrise jetzt als eine Art Aufarbeitung früherer Schuld sieht.

Wie begegnet Merkel Fremdenfeindlichkeit?

Für Angela Merkel gilt: „Wer Menschen angreift oder anpöbelt, dem muss mit aller Härte des Gesetzes begegnet werden.“ Ausdrücklich wendet sich die Kanzlerin Mitläufern zu, die Rechtsextremen oftmals erst den nötigen Raum und die Aufmerksamkeit für fremdenfeindliche Demonstrationen und Aktionen geben. Sie wiederholt ihre Mahnungen der Neujahrsansprache: „Folgen Sie denen nicht.“ Allzu oft hätten sie Hass und Kälte in ihren Herzen. „Halten Sie Abstand“, mahnt Merkel nun.

Auch als Ostdeutsche hat die Kanzlerin keinerlei Verständnis für Erklärungsversuche, die Fremdenfeindlichkeit als ein verständliches Phänomen einer Demokratie erklären, die erst vor 25 Jahren entstanden ist. Sie fordert „klare Abgrenzung“, „keinerlei Entschuldigung“ und „nicht die Spur von Verständnis“. Biografische Gründe für Fremdenfeindlichkeit gibt es in ihren Augen nicht. Vor allem richtet sich diese Klarstellung der Kanzlerin wohl an die Amtsträger ihrer eigenen Partei, die nicht nur anlässlich der Pegida-Aufzüge vor acht Monaten sondern auch nach den Ausschreitungen von Freital, Tröglitz und Heidenau um Rücksicht und Verständnis für die ostdeutschen Biografien geworben hatten. „Wir haben ein Grundgesetz“, sagt Merkel und „nicht irgendwelche ostdeutschen Phänomene“.

Was will Merkel zur Bewältigung der Krise tun?

Monatelang hat die Regierungschefin mit angesehen, wie ihre Minister, die Bundesländer, Kommunen und Hilfsorganisationen gegen die immer größere Anzahl von Flüchtlingen angearbeitet haben. Nun verspricht sie Änderungen, nennt die Herausforderung eine „nationale Kraftanstrengung“. Im Kern stehe dabei ein „umfassendes Paket“, das Merkel mit den Ministerpräsidenten der 16 Bundesländer beim nächsten Flüchtlingsgipfel am 24. September beschließen will. Sie nennt keine Zahlen, spricht aber von „Milliardenbeträgen“.

Sie sagt eine „faire Kostenverteilung“ zu und legt das Hauptaugenmerk auf eine Art „Standard-Beschleunigungs- oder Standard-Abweichungsgesetz“, das so ähnlich wirken soll wie das Gesetz, das Anfang der 90er Jahre erlassen wurde, um Genehmigungsverfahren beim Verkehrswegebau in Ostdeutschland zu erleichtern und damit zu beschleunigen.

Im Kern ist mit einem Gesetz zu rechen, das es Behörden gestattet, mit Verweis auf die Flüchtlingskrise alle Gesetze und Verordnungen zu umgehen, die einer raschen Lösung von Problemen im Weg stehen. Etwa, wenn Gebäude als Unterkünfte nicht genutzt werden können, weil ihre Geländerhöhen oder der Brand- und Wärmeschutz nicht den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Es ist eine Art Notstandsgesetzgebung, die Merkel umsetzen will. Von der Europäischen Kommission hat sie bereits die Genehmigung erhalten, europaweit geltende Ausschreibungsregeln bei öffentlichen Vergabeverfahren aussetzen zu können. Es komme darauf an, sagt Merkel, „die Dinge vernünftig zu regeln“. Deutsche Gründlichkeit, lobt Merkel, sei zwar „super“. Nun aber werde „deutsche Flexibilität gebraucht“.

Wie will die deutsche Kanzlerin der Entsolidarisierung Europas begegnen?

Was Merkel plant, um die Lasten der Flüchtlingskrise auf mehr europäische Länder zu verteilen, ist noch unklar. Deutlich macht sie indes ihren Anspruch. „Europa muss sich als ganzes bewegen“, sagt Merkel und warnt, dass die Gemeinschaft nicht mehr das Europa darstellen werde, das seine Gründungsväter im Sinn hatten, wenn die Länder der EU die aktuelle Krise nicht gemeinsam bewältigen können. „Der Kern europäischen Handelns“, erinnert Merkel, sei es „gemeinsam anstehende Probleme zu lösen“. Dies müsse nun auch gelingen.

Merkel verspricht, darauf zu achten, dass „niemand überbelastet“ werde. Gleichzeitig zeigt sie aber kein Verständnis für Länder, die keine Flüchtlinge oder nur Christen aufnehmen wollen. Das entspreche nicht dem europäischen Menschenbild sagt sie und mahnt: „Das Bild Europas in der Welt“ werde danach geprägt, wie die Gemeinschaft mit dieser Flüchtlingsfrage umgeht.

Dass Merkel nicht nur die Länder sondern auch die EU-Kommission stärker in die Verantwortung nehmen will, wird am Beispiel von „Hot-Spots“ deutlich, die im Süden Italiens und in Griechenland mit gesamteuropäischer Hilfe errichtet werden und die Registrierung und Verteilung der Flüchtlinge regeln sollen. Diese Aufgabe will Angela Merkel der EU-Kommission übertragen und damit einen ersten Schritt hin zu einer gesamteuropäischen Asylpolitik gehen.

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