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Politik: Angezogen, abgestoßen

MAGNET BERLIN

Von Gerd Appenzeller

Typisch Berlin! Da droht das Rentensystem in sich zusammenzukrachen, Edmund Stoiber möchte die rotgrüne Bundesregierung am liebsten politisch frontal gegen die Wand fahren lassen, Chaos aller Orten – und in Berlin grämt man sich, dass die Zukunft der Stadt zwischen Hauptstadtgloriole und Finanzdesaster wohl eher düster sei. Das Verwundern ist verständlich. Geld ist ein harter Standortfaktor, das richtige Metropolenfeeling hingegen ein sehr weicher. Aber hier geht es eben um beides, und damit ist Berlin ein deutsches Thema, das sich nicht durch Vertagung erledigt.

Eine Wegschieben droht indes erneut, obwohl der äußere Eindruck dem widerspricht. Die Deutsche Nationalstiftung, eine überaus noble, ungeachtet ihres offiziösen Titels aber rein private Angelegenheit, hat gerade Antworten auf die Frage gesucht, was uns die Hauptstadt wert sei. Zu einem einheitlichen Votum, gar einer Empfehlung, kommen die Autoren – renommierte Köpfe allesamt – jedoch nicht. Auf so etwas gehofft hatte aber der Bundespräsident. Er stellte am Jahresbeginn eine Anregung Klaus Wowereits zur Bildung einer Hauptstadtkommission wegen der entsprechenden Aktivitäten der Nationalstiftung zurück. Freilich, aus der Kommission hätte ohnedies nichts werden können, weil Wowereit seine Idee, einschließlich der Namen von Kommissionsmitgliedern, dem Staatsoberhaupt meinte über die Medien bekannt machen zu sollen.

Stillstand hier wäre keine Tragödie, wenn sich die gerade von Bundestag und Bundesrat installierte Föderalismuskommission mit der Rolle der Hauptstadt befassen würde. Aber da steht nur das Verhältnis zwischen Bund und Ländern auf der Agenda. Berlin muss also weiter warten – zum Schaden des Gesamtstaates und seines Verständnisses der Stadt, in der die Institutionen der Legislative und Exekutive ihren Sitz haben.

Schaden? Ja, durchaus. Die Bundespolitik und ihre Exponenten glaubten, nach dem Umzug von Bonn ins ferne Berlin so weitermachen zu können wie bisher. Aber die Bundesrepublik ist anders geworden. Seit die „zwei Staaten einer Nation“ wieder vereint sind, wird der Begriff Nation nicht mehr wie früher bestenfalls verschämt wie etwas den Deutschen Unangemessenes benutzt, sondern bewusst verwendet, und Berlin steht dafür. Die ungeteilte Stadt mit ihren historischen Plätzen ist Symbol der Nationwerdung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Hier finden sich die Orte der beiden deutschen Diktaturen und der auf den Trümmern des Weltkrieges begründeten ersten Republik, die Stätten der Teilung und der Einheit, der Schande und des Widerstandes dagegen. Berlin wird von den Deutschen ja auch ganz offenkundig so empfunden und in Besitz genommen, geschichtsgetränkte Stadt, wie es Bonn nie sein konnte, aber auch keine andere deutsche Stadt je war.

Den Platz dieses Magneten Berlin mit seinen anziehenden und abstoßenden Kräften im nationalen und föderalen Gefüge zu definieren, ist zwingend. Es geht nicht um die Schulden, die Landesregierungen verschiedener Couleur seit 1990 angehäuft haben. Auch dieses Problem muss gelöst werden. Aber der Hinweis auf die roten Zahlen taugt nicht als Ausrede dafür, sich vor der eigentlichen Aufgabe zu drücken.

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