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Angriff auf Gaza-Hilfsflotte: Das Ende der Gemeinsamkeiten

Das türkisch-israelische Bündnis steht vor dem endgültigen Scheitern. Die einstige Freundschaft bröckelt seit Jahren.

Nichts wird mehr so sein wie bisher – darin waren sich türkische Experten und Politiker am Montag einig. Der israelische Angriff auf den von türkischen Aktivisten organisierten Schiffskonvoi mit Hilfsgütern für den Gazastreifen könnte das traditionelle Bündnis zwischen der Türkei und Israel endgültig zerbrechen lassen.

„Die schwerste Krise überhaupt“ zwischen Israel und der Türkei spiele sich ab, sagte der ehemalige Außenminister Ilter Türkmen am Montag im türkischen Fernsehen. Die Folge: Die Türkei könnte sich noch mehr als bisher Staaten wie Syrien und dem Iran annähern – ohne das bisherige Gegengewicht der Partnerschaft mit Israel. Israel habe gezeigt, dass es keinen Frieden wolle, erklärte Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Er sprach von israelischem „Staatsterror“. Auf Istanbuls zentralem Taksim-Platz protestierten am Montag Zehntausende gegen die Aktion.

Trotz aller zwischenzeitlichen Spannungen fühlten sich Türken und Israelis lange Zeit durch ihre Gemeinsamkeiten verbunden: Beide Staaten sind enge Partner der USA, beide verfügen über sehr starke Streitkräfte, beide sind säkulare Demokratien nach westlichem Muster – und das in einer Weltgegend, in der dieses Modell nicht gerade weit verbreitet ist. Unter türkischer Vermittlung führte Israel sogar indirekte Friedensgespräche mit Syrien über die Golan-Höhen.

Spätestens seit dem israelischen Angriff auf die Gaza-Schiffe ist es vorbei mit diesen Gemeinsamkeiten. In den vergangenen Jahren hatte sich bereits angedeutet, dass das neue türkische Selbstbewusstsein – Ankara betrachtet sich selbst als regionale Ordnungsmacht – mit den Interessen des Verbündeten Israel kollidiert.

Im Jahr 1949 war die Türkei das erste moslemische Land, das den Staat Israel anerkannte. Seine Blütezeit erlebte das Verhältnis in den 90er Jahren mit einer engen militärischen und wirtschaftlichen Kooperation. Doch seit ein paar Jahren bröckelt die Freundschaft: Immer öfter gibt es Streit um die Palästinenser. Die Israelis ärgerten sich, als Ankara vor vier Jahren Hamas-Vertreter empfing. Im vergangenen Jahr verurteilte die türkische Regierung mit barschen Worten den israelischen Einmarsch in Gaza, und beim Weltwirtschaftsforum in Davos kam es dann zum Eklat: Premier Erdogan verließ wutentbrannt eine Podiumsdiskussion mit Israels Staatspräsident Schimon Peres. Anfang des Jahres setzte sich die Krisenserie fort, als der türkische Botschafter in Tel Aviv von israelischen Außenamtsbeamten öffentlich gedemütigt wurde.

Schon damals rief die türkische Regierung ihren Botschafter vorübergehend nach Ankara zurück. Und auch am Montag entschied sie, den Diplomaten erst einmal aus Tel Aviv abzuziehen. Zudem sagten die Türken mehrere Militärmanöver mit den Israelis ab.

Aus Ankaras Sicht sind die Israelis in den vergangenen Monaten zunehmend in einen Radikalismus abgedriftet, der eine Verständigung schwierig macht, insbesondere nach dem Regierungswechsel 2009. So bemühten sich die Türken mehrmals darum, die indirekten Friedensgespräche zwischen Israel und Syrien wieder in Gang zu bringen. Doch die Regierung Netanjahu winkte ab.

Wenn sich die erste Wut über den Angriff gelegt hat, wird die Türkei aber möglicherweise erkennen, dass sie starke Beziehungen zu Israel braucht: Ohne ihr besonderes Verhältnis zum jüdischen Staat kann die Türkei nicht die Rolle eines Akteurs in Anspruch nehmen, der bei allen Beteiligten im Nahost-Konflikt Gehör findet.

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