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Politik: Angriff zur Verteidigung

Afrikanische Bootsflüchtlinge gehen mit Brandsätzen gegen Küstenwache vor – die lässt sie weiterfahren

Der Empfang für das Patrouillenboot der spanischen Küstenwacht war alles andere als freundlich: Als sich die Grenzpolizisten dem afrikanischen Migrantenkahn näherten, warfen die Insassen Molotow- Cocktails gegen das Küstenschutzschiff, um es in Brand zu stecken. Daraufhin drehte das Polizeischiff zunächst ab, „um keine Leben in Gefahr zu bringen“. Das sei das erste Mal gewesen, berichtete ein Behördensprecher am Dienstag, dass afrikanische Illegale auf dem Meer die Grenzschützer angriffen. Die Einwanderer wollten offenbar verhindern, dass sie von der Küstenwacht zurück nach Westafrika geschickt werden.

Als aber die Immigranten mit ihrem rund zehn Meter langen Holzkahn schließlich auf der Kanareninsel Gran Canaria ankamen, war der Traum vom besseren Leben in Europa doch zu Ende. Die 57 jungen Männer wurden zwar – wie alle auf den Inseln ankommenden „Boat People“ – zunächst vom Roten Kreuz versorgt. Kurz darauf wurden sie jedoch von der Polizei in Abschiebehaft genommen. Sie sollen im Schnellverfahren nach Mauretanien abgeschoben werden, jenem Land, in dessen Gewässern sich der Angriff auf die spanische Küstenwacht ereignete.

In Mauretanien erwartet die Männer wegen dieser Attacke ein Gerichtsverfahren. Der gefährliche Zwischenfall gilt als Beispiel dafür, dass der Druck der illegalen Einwanderung aus Afrika Richtung Europa kaum geringer werden wird. Das angegriffene spanische Küstenwachtschiff „Rio Duero“ ist Bestandteil der EU-Überwachungsmission vor Westafrika, mit der die unkontrollierte Immigration vor allem Richtung Spanien gestoppt werden soll. Die EU-Mission, die von der EU- Grenzschutzagentur Frontex koordiniert wird, versucht seit vergangenem Sommer, Migrantenschiffe vor der westafrikanischen Küste abzufangen. Dies geschieht in Absprache mit den Ländern Marokko, Mauretanien und Senegal.

Rund 50 Immigrantenboote mit annähernd 4000 Afrikanern an Bord wurden im Jahr 2006 von der Frontex-Flotte im Atlantik aufgebracht und den westafrikanischen Behörden übergeben. Ein bescheidener Erfolg: Denn knapp 32 000 Migranten schlüpften durch die Maschen und kamen auf den zu Spanien gehörenden Kanarischen Inseln an. Jeder Dritte der Ankömmlinge wurden in seine Heimat abgeschoben. Die Rückführung ist jedoch nur möglich, wenn die Staatsangehörigkeit festgestellt werden kann und Abschiebeabkommen mit den betreffenden Staaten bestehen. Um ihre Ausweisung zu verhindern, kommen die meisten Afrikaner freilich ohne Papiere.

Die Frontex-Flotte aus Schiffen, Flugzeugen und Hubschraubern mehrerer EU-Staaten dürfte auch dieses Jahr viel Arbeit bekommen: „Es ist nicht zu erwarten“, sagte EU-Grenzschutzkommissar Franco Frattini, „dass der Wanderungsdruck auf unsere Südgrenzen in der unmittelbaren Zukunft abnimmt.“ Seit Beginn des Jahres 2007 sind bereits 1700 Afrikaner an den kanarischen Stränden gelandet. Das ist zwar nur gut die Hälfte jener, die im ersten Quartal 2006 ankamen. „Doch die große Welle steht noch bevor“, befürchten Experten, wenn das Seewetter besser und die mehrtägige Überfahrt von Westafrika auf die Kanaren ungefährlicher werde.

Wie viele Afrikaner diese tagelange Fahrt übers Meer nicht überleben, kann nur geschätzt werden. Mehr als 1000 Tote sind im vergangenen Jahr offiziell gezählt worden. Flüchtlingsorganisationen gehen jedoch davon aus, dass die wirkliche Opferzahl wesentlich höher liegt. Die spanische Vereinigung für Menschenrechte spricht gar von „bis zu 7000 Toten“ im Jahr 2006.

Vorsitzender Rafael Lara: „Experten gehen übereinstimmend davon aus, dass von drei Flüchtlingsbooten nur zwei auf den Kanarischen Inseln ankommen.“ Spanien ist übrigens das beliebteste Einwanderungsland der EU. Laut der EU-Statistik wählte im Jahr 2006 knapp die Hälfte der 1,4 Millionen in der Union ankommenden Immigranten das südliche Sonnenland als neue Heimat.

Dabei machen die afrikanischen Wirtschaftsflüchtlinge eine verschwindende Minderheit der Einwanderer aus. Die meisten Immigranten in Spanien stammen aus Osteuropa und Lateinamerika.

Ralph Schulze[Madrid]

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