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Politik: Angst auf der Vogelinsel

Die Krankheit erreicht jetzt Urlaubsgebiete an der türkischen Ägäis – und die Kritik an Ankara wächst

„Ausgerechnet jetzt“, seufzt Nüvit Özkan. Der Chef des Fremdenverkehrsvereins im südtürkischen Alanya sieht schwere Zeiten auf die türkische Tourismusindustrie zukommen. Im Januar und Februar buchen viele Familien in Europa ihren Sommerurlaub, doch sie könnten jetzt durch die Nachrichten vom Vormarsch der Vogelgrippe abgeschreckt werden. Am Dienstag meldeten die Behörden im westtürkischen Urlaubsort Kusadasi (Vogelinsel) und in Izmir den Fund toter Tauben und Hühner, die an der Vogelgrippe gestorben waren. In Kusadasi und Umgebung wurden vier Menschen mit Vogelgrippeverdacht ins Krankenhaus gebracht. Damit hat die Vogelgrippe die Ägäis erreicht. Die Fremdenverkehrsbranche befürchtet Massenstornierungen. Unterdessen wächst die Kritik an den Behörden, die nach Meinung von Kritikern zu langsam und zu spät auf die Gefahr reagierten.

Rund 26 Millionen ausländische Urlauber kamen im vergangenen Jahr in die Türkei – damit hat sich die Zahl der Türkeitouristen seit dem Jahr 2002 verdoppelt. Die Vogelgrippe könnte den erhofften weiteren Aufwärtstrend jetzt stoppen. Russland, mit rund 1,5 Millionen Touristen pro Jahr das stärkste Herkunftsland von Türkeitouristen nach Deutschland, sprach bereits eine Reisewarnung an seine Bürger aus. Auch die britischen Behörden machten auf die Gefahren durch die Vogelgrippe in der Türkei aufmerksam; britische Urlauber bevorzugen in der Türkei vor allem die Ägäisregion – zum Beispiel Kusadasi. Es gibt erste Berichte über Reisestornierungen.

Angesichts der wachsenden Furcht vor der Vogelgrippe in der Türkei selbst ist es kein Wunder, dass potenzielle Besucher aus dem Ausland besorgt reagieren. Mehrere hundert Menschen im ganzen Land haben sich in den vergangenen Tagen in den Krankenhäusern gemeldet, weil sie befürchteten, sich mit dem Virus infiziert zu haben. In Istanbul wurde der Straßenverkauf von Hühnern und Eiern gestoppt. Um eine Ausbreitung der Krankheit zu verhindern, wurden mehr als 100 000 Hühner, Enten, Tauben und Puten getötet. Am ersten Tag des islamischen Opferfestes wurden am Dienstag spezielle Desinfektionsmittel versprüht, um zu verhindern, dass der Erreger aus dem Fell von Schafen und anderen Opfertieren auf Menschen überspringt.

Das Thema Vogelgrippe beherrscht die Nachrichten, und auch Politiker und Fachleute äußern sich unablässig zu Gefahren und Vorsorgemaßnahmen. Zunehmend wird dabei die Frage nach der Verantwortung für die Ausbreitung der Seuche diskutiert. Die Zeitung „Sabah“ forderte am Dienstag den Rücktritt von Gesundheitsminister Recep Akdag und Landwirtschaftsminister Mehdi Eker. Ihnen wird vorgeworfen, sich nach der Entdeckung des Virus in Ostanatolien tagelang auf Beschwichtigungen verlegt und damit wichtige Zeit vergeudet zu haben. Die Opposition will eine Sondersitzung des Parlaments in Ankara durchsetzen.

Nicht nur bei der kurzfristigen Bekämpfung der Krankheit, sondern auch bei der Seuchenvorsorge seien schwere Fehler gemacht worden, sagen Kritiker. So habe die Regierung vor anderthalb Jahren ein Forschungsinstitut schließen lassen, das sich um Vogelkrankheiten gekümmert habe, berichtete ein Fernsehsender. Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan wies jede Kritik an den Behörden zurück.

Vertreter von Erdogans Regierungspartei AKP haben sich inzwischen eine ganz eigene Erklärung dafür zurechtgelegt, warum das Virus so plötzlich die ganze Türkei überzieht: Nach ihrer Meinung steckt das Ausland dahinter. „Dass in der Türkei gleichzeitig an mehreren Orten die Vogelgrippe aufgetreten ist, gibt zu denken“, sagte der Parlamentsabgeordnete Eyüp Sanay. „In der Türkei hat eine Explosion des Tourismus stattgefunden. Vielleicht wurde es aus Konkurrenzgründen gemacht. Jemand könnte den Erreger gezielt eingesetzt haben.“

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