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Politik: Angst vor der Rache des Regimes

Der Bürgerrechtler Chen Guangcheng wägt nach der Ausreise in die USA seine Worte vorsichtig ab – er will seinen Neffen in China nicht gefährden.

Als Chen Guangcheng mit seiner Familie am Samstagnachmittag am Pekinger Flughafen auf den Start seines Fluges nach Newark wartete, stiegen die Gefühle in ihm hoch. Sein Herz sei mit tiefen Emotionen gefüllt, sagte der blinde chinesische Bürgerrechtler, „es gibt noch viele Dinge, die nicht erreicht worden sind“. Wie um diese Unvollkommenheit zu unterstreichen, braute sich ein heftiges Gewitter über Peking zusammen, kurz nachdem Chen Guangcheng chinesischen Boden verlassen hatte.

Die überraschend schnelle Ausreise Chen Guangchengs nach New York, wo der Bürgerrechtler am Samstagabend mit seiner Frau und den beiden Kindern eintraf, ist nur ein kleiner Erfolg für das Häuflein der Dissidenten und Menschenrechtsaktivisten in China. Der Bürgerrechtler, der in New York Jura studieren will, lässt ein Land zurück, in dem weiter gegen die Menschenrechte verstoßen wird. Chen Guangcheng weiß darum und um die Gefahr, in der sich seine Freunde und Verwandten in China deshalb weiterhin befinden. Er fürchtet die „schlimme Rache“ der örtlichen Behörden in seinem Heimatort Dongshigu, weil er Ende April nachts aus seinem 18-monatigen illegalen Hausarrest in die US-Botschaft geflüchtet war.

Chen Guangcheng wählte daher nach seiner Landung in New York taktisch kluge erste Worte. Auf Krücken gestützt, weil er sich bei der Flucht einen Fuß gebrochen hatte, dankte er nicht nur den USA, die seine Ausreise ermöglicht hatten, sondern auch den chinesischen Führern. „Sie sind zurückhaltend und ruhig mit der Situation umgegangen – ich hoffe, dass sie ihren offenen Diskurs fortsetzen und damit Respekt und das Vertrauen der Menschen ernten.“ Die freundlichen Worte dürften vor allem dazu dienen, die Lage seines Neffen Chen Kegui nicht zu verschärfen. Dieser hatte sich nach seinen Angaben mit zwei Messern gegen örtliche Schläger gewehrt, die nach der Flucht seines Onkels in sein Haus eingedrungen waren. Nun könnte er wegen versuchten Mordes angeklagt werden. Die näheren Umstände des Falles sind nicht bekannt, die Anwälte des Neffen sind bereits bedroht worden, den Fall nicht anzunehmen.

Ob Repressionen wie bei Chen Guangcheng und seiner Familie in Zukunft wieder vermehrt an der Tagesordnung sein werden, um die „Stabilität“ zu sichern, oder ob China einen rechtsstaatlicheren Weg einschlagen soll – darüber wird offenbar vor dem 18. Parteitag der Kommunistischen Partei in diesem Jahr hinter den Kulissen heftig gestritten. Wie die Agentur Reuters berichtete, soll aufgrund der anhaltenden Machtkämpfe in der Kommunistischen Partei sogar eine Verschiebung des Parteitages auf Dezember oder Januar erwogen werden. Es kämpfen die Reformer gegen die Hardliner, zu denen Zhou Yongkang zählt, der mächtige Chef des riesigen Sicherheitsapparates. Manche Beobachter hatten ihn schon als Verlierer im Machtkampf eingeordnet, weil er ein Freund des geschassten Politstars Bo Xilai ist. Doch nun meldet die Zeitung „Xinjiang Daily“, dass er beim Parteitag zu den Delegierten der Provinz Xinjiang zählen wird.

Die USA hingegen haben in dem heiklen Konfliktfall offenbar den richtigen Ton getroffen. Wie die „New York Times“ berichtete, hatte US-Außenministerin Hillary Clinton bei ihrem Besuch in China den Fall in ihren offiziellen Gesprächen nicht angesprochen – und damit Raum für Verhandlungen auf anderen Ebenen gelassen. Durch Chens Antrag auf ein Studium und eben nicht auf Asyl konnte China sein Gesicht wahren.

Chen Guangcheng will nun ausruhen und anschließend seinen „Kampf für das Gute in der Welt“ fortsetzen. Die Frage ist, wo er das tun wird. Ihn in ein Flugzeug zu setzen, sei der leichteste Teil der Geschichte, sagt China-Expertin Phelim Kine von der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“. „Der schwierigere und langwierigere ist, sein internationales Recht sicherzustellen, dass er wieder nach China zurückkann.“

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